Explosion mit zwei Toten
Raketeneinschlag in Polen: Hinweise auf ukrainische Herkunft

16.11.2022 | Stand 19.09.2023, 5:24 Uhr

Polizisten versammeln sich vor einem Getreidelager in Przewodow im Südosten Polens. Nach einer Explosion mit zwei Toten in einem Dorf im Grenzgebiet zur Ukraine hat Polen einen Teil seiner Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft versetzt. −Foto: Str/AP/dpa

Nach dem Raketeneinschlag im Osten Polens mit zwei Toten gibt es Hinweise darauf, dass es sich bei dem Geschoss um eine Flugabwehrrakete aus der Ukraine handelt.



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Dies teilte US-Präsident Joe Biden nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bei einem Treffen mit anderen Staats- und Regierungschefs von Nato- und G7-Staaten auf Bali mit. Er soll demnach von einer Rakete des Systems S-300 gesprochen haben.

Biden hatte wegen des Raketeneinschlags in Polen am Rande des G20-Gipfels auf Bali zu einem Krisentreffen geladen. Daran nahmen die Staats- und Regierungschefs der sieben großen westlichen Demokratien (G7) sowie andere Nato- und EU-Staaten teil.

„Volle Unterstützung und Hilfe“ für Polen zugesichert

„Wir bieten Polen unsere volle Unterstützung und Hilfe bei den laufenden Ermittlungen an“ , heißt es danach in einer Erklärung. „Wir verurteilen die barbarischen Raketenangriffe, die Russland am Dienstag auf ukrainische Städte und zivile Infrastrukturen verübt hat.“

Am Tisch saßen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Regierungschefs aus Großbritannien, Italien, Kanada und Japan. Biden hatte zuvor mit dem polnischen Präsident Andrzej Duda telefoniert.

Die russische Regierung bestritt, Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen zu haben und sprach von einer gezielten Provokation.

Duda: Derzeit keine Beweise, wer Rakete abgefeuert hat

Nach polnischen Angaben war eine „Rakete aus russischer Produktion“ im ostpolnischen Dorf Przewodow sechs Kilometer von der Grenze zum Kriegsgebiet Ukraine eingeschlagen. Nach Feuerwehrangaben wurden dabei zwei Menschen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb getötet.

Die Nachrichtenagentur Interfax Ukraina in Kiew berichtete unter Berufung auf Militärexperten, es könne sich um russische Marschflugkörper vom Typ Ch-101 gehandelt haben. Erste Fotos von Trümmerteilen an der Einschlagstelle deuteten für andere Experten auf die Raketen des Flugabwehrsystems S-300 hin. Dies System sowjetischer Bauart ist wesentlicher Bestandteil der ukrainischen Flugabwehr.

Duda sagte weiter: „Wir haben derzeit keine eindeutigen Beweise dafür, wer die Rakete abgefeuert hat. Die Ermittlungen laufen.“ Polen versetzte einen Teil seiner Streitkräfte in eine höhere Bereitschaft.

Ein Sprecher der polnischen Regierung erklärte, man habe mit den Nato-Verbündeten beschlossen, zu überprüfen, ob es Gründe gebe, die Verfahren nach Artikel 4 des Nato-Vertrags einzuleiten.

Artikel 4 sieht Beratungen der Nato-Staaten vor, wenn ein Land die Unversehrtheit seines Gebiets, seine politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht.

Moskau spricht von gezielter Provokation

Das Verteidigungsministerium in Moskau sprach von einer gezielten Provokation. Es seien keine Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen worden. Auch die in polnischen Medien verbreiteten Fotos angeblicher Trümmerteile hätten nichts mit russischen Waffensystemen zu tun.

Russland hatte die Ukraine am Dienstag nach Kiewer Zählung mit mehr als 90 Raketen und Marschflugkörpern beschossen.

Biden sagte über die russischen Angriffe: „In dem Moment, als die Welt beim G20 zusammenkam, um eine Deeskalation anzumahnen, entschied Russland, in der Ukraine weiter zu eskalieren.“

Auch Scholz telefonierte mit Duda. „Deutschland steht eng an der Seite unseres Nato-Partners Polen“, schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Twitter. Scholz habe sein Beileid ausgesprochen.

Ukraine dringt auf Flugverbotszone

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte über den Raketeneinschlag in Polen gesagt: „Dies ist ein russischer Raketenangriff auf die kollektive Sicherheit!“ Er fügte hinzu: „Dies ist eine sehr bedeutende Eskalation. Wir müssen handeln.“

Kiew dringt nach dem Einschlag der Rakete auf polnischem Gebiet auf die Einrichtung einer Flugverbotszone. „Wir bitten darum, den Himmel zu schließen, weil der Himmel keine Grenzen hat“, schrieb Verteidigungsminister Olexij Resnikow im Kurznachrichtendienst Twitter.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte zudem eine harte und „prinzipienfeste“ Reaktion auf den Raketeneinschlag. Das habe er bei einem Telefonat mit US-Außenminister Antony Blinken deutlich gemacht, teilte Kuleba im Kurznachrichtendienst Twitter mit. Demnach verurteilte er den „Russlands Raketenterror“.

Russland beschießt Infrastruktur in der Ukraine

Durch die gezielten russischen Angriffe auf die Energieversorgung fiel nach Angaben von Präsident Selenskyj zeitweise für zehn Millionen Menschen der Strom aus. Für acht Millionen Menschen habe die Versorgung später wieder hergestellt werden können. Der Mittwoch ist für die Ukraine der 266. Tag im Abwehrkampf gegen die russische Invasion.

Das G20-Treffen geht am Mittwoch zu Ende. Dabei soll auch eine Erklärung verabschiedet werden, mit der Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilt wird. Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der Kremlchef Wladimir Putin vertrat, hatte das Treffen bereits am Dienstag verlassen.

− dpa