PNP-Spendenaktion
Mit 15 zwangsverheiratet: "Allein ihn anzusehen, war für mich eine Qual"

17.12.2021 | Stand 12.10.2023, 10:16 Uhr

Lieber lernen als Ehefrau sein: Im Mädcheninternat von Saka fühlt sich Amina (16) inmitten ihrer Schulkameradinnen gut aufgehoben. Dank eines Stipendiums kann sie auf dem Schulgelände leben und sich auf den Unterricht konzentrieren. Ihr großer Traum: Ärztin zu werden. −Fotos: Unicef/Kesper, Eva Fischl

Als ihre Schule im Osten Kenias während des landesweiten Lockdowns schloss, war Aminas Zukunft besiegelt. Ihr Vater zwang seine 15-jährige Tochter in die Ehe mit einem älteren Mann. Heute verfolgt sie dank eines Stipendiums wieder ihre Träume.

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Worüber schnattern Teenager-Mädchen am liebsten? Über den ersten Kuss? Welcher Schauspieler oder Popstar der süßeste ist? Wenn sich Amina (ihr Name wurde aus Kinderschutz-Gründen für diesen Artikel geändert) und ihre Mitschülerinnen im Mädchen-Internat von Saka unterhalten, dann geht es um bittere Armut, um existenzielle Not, die dazu führt, dass schon Kinder arbeiten müssen. Und manchmal auch darüber, dass ein Vater seine minderjährige Tochter dazu zwingt, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebt. Hauptsache, ein Kopf weniger, den er durchfüttern muss.

Amina war 15 Jahre alt, als auch die kenianische Regierung im Frühjahr 2020 einen landesweiten Lockdown beschloss. Damit das in Kenia ohnehin instabile Gesundheitssystem in der Corona-Pandemie nicht zusammenbricht, mussten auch Millionen Schülerinnen und Schüler zuhause bleiben. Für Amina begann ein Leidensweg, der bis heute nachwirkt.

Mit Händen und Füßen dagegen gewehrt

"Im März schloss die Schule, im Mai wurde ich zwangsverheiratet", erzählt die Schülerin. "Ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, und auch meine Mutter hat meinen Vater angefleht, das nicht zu tun, aber er meinte nur: ,Du bist meine Tochter, füge dich.‘ Ich hatte keine Chance gegen ihn", erzählt Amina mit leiser, fast flüsternder Stimme. Amina stand damals kurz vor dem Abschluss an ihrer Primary School, hatte Träume für ihre Zukunft. Mit dem Lockdown zerplatzten sie wie Seifenblasen.

"Amina stammt aus einer sehr armen Familie, die am Rand der Bezirkshauptstadt lebt", erklärt Zeinab A. Ahmed, Kinderschutz-Expertin für Unicef in der Region Garissa. "Meine Eltern, meine dreizehnjährige Schwester, mein elfjähriger Bruder und ich wohnen in einer Lehmhütte mit nur einem Raum", schildert die 16-Jährige. "Wir hatten mal 20 Ziegen, aber die sind während der letzten schlimmen Dürre alle gestorben, seither geht es uns viel schlechter. Mein Vater arbeitet ab und zu in einem Steinbruch, und meine Mutter hat früher Milch in kleinen Portionen an der Straße verkauft. Aber jetzt sind die Milchpreise wegen der Dürre so gestiegen, dass sie selbst das nicht mehr machen kann", berichtet Amina.

Eine Ehe, die sie nie schließen wollte

Die 16-Jährige ahnt, dass ihr Vater aus der Not heraus gehandelt hat. "Er dachte, er könne für mich mit dieser Ehe eine Zukunft aufbauen, weil er mich nicht mehr unterstützen kann. Aber er hat einen großen Fehler gemacht."

Mit Schaudern erinnert sich das Mädchen an die Tage ihrer Ehe zurück. Eine Ehe, die sie nie schließen wollte. "Der Mann war über 40 Jahre alt, schon zweimal geschieden und kein guter Mensch. Er war ungepflegt und hat streng gerochen. Einen Beruf hatte er auch nicht, er sammelte Feuerholz im Busch. Und besonders clever war der nicht. Ich habe mich nicht einmal mit ihm unterhalten können", erzählt Amina angewidert. "Allein ihn anzusehen, war für mich eine Qual." Die Ehe habe ihr Schwiegervater arrangiert, ein Mann mit Ansehen und Einfluss, der im Hintergrund die Strippen zieht. Der Sohn sei nur seine Marionette gewesen.

Feier des Tages wurde ein Kamel geschlachtet

"Am Tag der Hochzeit haben sie mich zu einer Tante gebracht. Dort haben sie mich als Braut geschmückt und dann zum Haus dieses Mannes geführt", erzählt Amina. Zur Feier des Tages sei ein Kamel geschlachtet worden. Auf die Frage, ob ihr jemand zuvor erklärt habe, was als Ehefrau von ihr erwartet werde, wird Aminas Stimme noch leiser. "Nachbarinnen nahmen mich in seinem Haus beiseite und erklärten mir, was jetzt von mir verlangt wird. Aber ich wollte keine Ehefrau sein. Ich wollte lernen und studieren, frei sein und meine eigenen Entscheidungen treffen. Mit meinem Leben machen, was ich will."

Als der Mann sich ihr das erste Mal körperlich näherte, weigerte sich Amina und verteidigte sich so gut es ging. "Dann hat er mich das erste Mal geschlagen", flüstert Amina. Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihr bot, sei sie aus dem Haus gelaufen und zu ihrer Familie zurückgekehrt. "Mein Vater hat mich nur ausgelacht und gesagt: ,Du hast Angst vor einem kleinen Mann?‘ Und dann hat er mich wieder zurückgeschickt."

Zwei Monate lang hielt es Amina in dieser Ehehölle aus. Immer wieder flüchtete sie sich zu ihrer Familie. Immer wieder brachte ihr Vater sie zurück. "Einmal floh ich fünfmal in 21 Tagen", erinnert sich Amina. "Es kostete mich viel Kraft, immer wieder wegzulaufen, aber dort wollte ich nicht bleiben. Ich habe nichts von dem, was mir gehörte, mitgenommen."

Narbe unter dem Auge wird sie immer an Ehe erinnern

Als sie das letzte Mal weglief, klaffte eine Wunde unter ihrem rechten Auge. Die Narbe ist auch ein gutes Jahr später noch sichtbar und wird Amina immer an den brutalen Mann erinnern. "Als ich mit dieser Verletzung nach Hause kam, hat mein Vater endlich eingesehen, dass es keinen Sinn macht, mich in diese Ehe zu zwingen", erzählt Amina.

Ob ihr Vater seinen Plan heute bereut, weiß Amina nicht. Auf alle Fälle musste er ihn teuer bezahlen. Das Brautgeld, das Aminas Schwiegervater ihrer Familie spendiert hatte, war längst in Aussteuer, Hochzeitsfeier und andere Dinge investiert worden. Doch die Familie des Mannes verlangte die 200.000 Kenianischen Schilling zurück – umgerechnet gut 1500 Euro. "Das Geld hatte mein Vater nicht mehr, deshalb musste er das halbe Land, auf dem unsere Hütte steht, weggeben", erzählt Amina. Sie weiß, dass ihre Familie jetzt noch ärmer ist als zuvor. Doch sie sagt tapfer: "Mein Vater hat einen großen Fehler gemacht, aber meine Freiheit war mir wichtiger."

Aminas Stärke hat Kinderschutz-Expertin Zeinab Ahmed beeindruckt. "Solche Schicksale passieren Mädchen hier in der Region oft. Unsere Aufgabe ist es, diesen Irrglauben, dass eine Kinderehe eine Familie besser stellen kann, aus den Köpfen der Menschen zu bringen. Bildung ist der einzige Weg aus der Armut heraus", sagt die Unicef-Mitarbeiterin, die seit vielen Jahren als Aktivistin gegen Kinderehen und Genitalverstümmelung in den Nomaden-Gebieten vorgeht. Zeinab Ahmed: "Amina ist im Oktober 2020 zurück in ihre Schule und hat im März 2021 ihren Abschluss gemacht." Ihr Mut und ihre Willensstärke wurden belohnt.

"Meine kleine Schwester soll sowas nie erleben müssen"

Seit Oktober ist Amina eine von fünf neuen Schülerinnen, die mit einem Stipendium das Mädcheninternat der Saka High School besuchen dürfen. Die Schule nimmt jedes Jahr Mädchen auf, die durch besonders gute Leistungen auffallen und gleichzeitig aus Kinderschutz-Gründen besondere Hilfe benötigen. Unicef unterstützt dieses Programm. "Hier an der Schule können wir die Mädchen stark machen für ein selbstbestimmtes Leben", sagt Zeinab Ahmed. "Zuhause erfahren sie keine Motivation. Und die Dürre stresst die Menschen zusätzlich."

Auch bei Amina zuhause ist die Lage angespannt. "An manchen Tagen gibt es nichts zu essen. Für das Busticket zur Schule musste ich mir Geld leihen." Dank des Internats, in dem Amina versorgt und verköstigt wird, fällt zuhause ein Esser weg. Das entlastet die Familie. "Das Stipendium gibt mir die Möglichkeit, meinen Traum zu verfolgen", sagt Amina. Sie möchte Kinderärztin werden. "Es fasziniert mich, anderen Menschen helfen zu können."

Natürlich weiß Amina auch, dass sie als Ärztin besser verdienen wird, als es ihr ungebildeter Vater je in seinem Leben könnte. "Ich möchte meiner Familie ein Haus bauen und meine Geschwister unterstützen. Meine kleine Schwester soll nie so etwas erleben müssen wie ich", sagt Amina.

Ziel: Ärztin werden

Kann sie sich vorstellen, eines Tages wieder zu heiraten? "Nur, wenn ich mein Ziel erreicht habe und Ärztin geworden bin", sagt Amina. Einen Mann, der das nicht verstehe, wolle sie nicht. "Der Mann, den ich lieben könnte, muss sich auskennen im Leben und eine gute, starke Persönlichkeit haben", sagt Amina.

Anfang November wurde die 16-Jährige offiziell geschieden.