Markschellenberg
Marktschellenberg soll belebt werden

Lebendiges Dorfzentrum fehlt – Einheimischer möchte das mit einer Millionen-Investitionen ändern

20.01.2022 | Stand 21.09.2023, 3:18 Uhr

Das jahrhundertealte und unzählige Male umgebaute Gasthaus Forelle soll abgerissen und neu gebaut werden. Auf 2600 Quadratmetern sollen Wohnungen, Arztpraxis, Bistro und Tagespflege realisiert werden. −Fotos: Kilian Pfeiffer

Als "Tor zu Salzburg" hat sich Marktschellenberg einen Namen gemacht: Untersberg, Almbachklamm und die größte Eishöhle Deutschlands sind touristische Hotspots. Allerdings: Das Zentrum des 1750-Seelen-Dorfes gilt seit langem als verwaist. Das örtliche Gasthaus an der Bundesstraße 305, gleich neben der Kirche, ist seit mehr als einem Jahrzehnt geschlossen. Ein Nahversorger: Fehlanzeige. Ein einheimischer Handwerksmeister nimmt nun eine Millionensumme in die Hand und will dem Dorf wieder Leben einhauchen.

Marktschellenbergs Bürgermeister Michael Ernst wirkt zuversichtlich, denn Lichtblicke im von Bergen umgebenen Grenzort sind selten. Der Mann, der im Rathaus am Tisch neben ihm Platz genommen hat, ist Thomas Schwaiger. Schwaiger ist 48 Jahre alt, Spenglermeister, viel beschäftigt. Als Handwerker können sich er und seine 35 Angestellten vor Arbeit kaum retten. Der gebürtige Marktschellenberger ist so etwas wie der Hoffnungsschimmer des Ortes, der schon so lange im Winterschlaf liegt. Eigentlich ist Marktschellenberg, seitdem das Gasthaus geschlossen wurde und der örtliche Einzelhändler dichtmachte, nur noch Durchfahrtsort. Das Hotel am Marktplatz ist seit dem Tod der Besitzerin ungenutzt. Bis zu 16000 Pkw passieren während der Saison die Gemeinde – pro Tag. Die wenigsten bleiben stehen.

Zentrales Gebäude ohne Nutzung

Drei Minuten sind es mit dem Auto zur österreichischen Grenze. Nach Salzburg dauert es nur ein paar Minuten länger. Das ist auch der Grund, weshalb viele Österreicher in Marktschellenberg wohnen. Denn die Mietpreise sind deutlich günstiger als jene in Salzburg, wo das Leben allgemein kostspieliger ist.

Als Marktschellenberger plagt Thomas Schwaiger schon lange ein Problem, wenn er durch "seinen" Ort fährt, vorbei am leer stehenden Gasthaus "Forelle", seinem Objekt der Begierde. Der Ursprung des direkt am Marktplatz befindlichen Gebäudes, gleich neben der Kirche, liegt Jahrhunderte zurück. Eigentlich müsste es unter Denkmalschutz stehen, wenn es im Laufe der Zeit nicht unzählige Male umgebaut worden wäre. Das ehemalige Gasthaus haben schon lange keine hungrigen Gäste mehr von innen gesehen. "Ein zentrales Gebäude und trotzdem keine Nutzung", sagt Thomas Schwaiger: "Das finde ich sehr schade."

Der Kauf des Hauses, das rund 1900 Quadratmeter Nutzfläche aufweist, fand bereits im vergangenen Jahr statt. Die Einigung mit dem Vorbesitzer, dessen Nutzungskonzept nie aufzugehen schien, ging flott über die Bühne, Schwaigers Vision rückte ein greifbares Stück näher. Schwaiger als Investor zu bezeichnen, das hört man im Ort nicht gern, denn Schwaiger ist Einheimischer. "Das ist kein Investor, sondern unser Bauherr", sagt also Bürgermeister Michael Ernst im Besprechungssaal des Rathauses mit direktem Blick auf das Gasthaus Forelle, das schon demnächst abgerissen werden könnte. Marktschellenberg war im vergangenen Juli in die Schlagzeilen geraten, als ein Unwetter den gesamten Ortskern unter Wasser setzte, weil die Ache, die durch die Gemeinde fließt, über die Ufer trat. Etliche Bewohner wurden zu Opfern der Flut. Eine Flut an Spenden schwappte daraufhin über den Ort.

Der Marktplatz von Marktschellenberg war einmal. Bis auf ein paar Standkonzerte findet dort nicht mehr viel statt. Weil die Gaststätte fehlt. Kirchgänger vermissen die Einkehr nach dem Sonntagsgottesdienst – und Tagestouristen machen maximal im kleinen Café neben dem Rathaus halt, ehe es zum Volltanken nach Österreich geht. Was schwebt dem Bauherrn also vor? "Leben in den Ort bringen", sagt dieser. Der Marktplatz muss wieder das werden, wofür er wortwörtlich steht. Ein Ort der Begegnung. Die Gemeinde hat eine Umfrage unter den Einwohnern gemacht. Ein Lebensmittelnahversorger stand ganz oben auf der Liste. Wohnungen ebenso, seniorengerecht versteht sich.

Vision einer Rundumversorgung

Thomas Schwaigers Vision basiert also auf einer Rundumversorgung. 2600 Quadratmeter umfasst der Neubau, ein Riesenprojekt soll es werden mit Wohn- und Nutzfläche. Der Plan, im Bestand zu sanieren, ging nicht auf. Statiker und Planer rieten ihm davon ab. Also alles neu: 24 Wohnungen sind geplant, eine öffentliche Toilette, ein kleiner Supermarkt, ein Friseur, ein Bistro, auch eine Arztpraxis wird es geben. Der letzte Arzt mit Kassenzulassung im Ort ist vor ein paar Jahren in Ruhestand gegangen. Keller, drei Stockwerke, Dachgeschoß: "Wir haben einen Betreiber gefunden, der oben im Haus eine Tagespflege für Senioren führen wird und einen mobilen Pflegedienst für den Landkreis anbietet", freut sich der 48-jährige Schwaiger. Arbeitsplätze inklusive.

Bauherr und Bürgermeister gehen bei dem größten Projekt im Ort Hand in Hand. Denn gleich neben dem ehemaligen Gasthaus liegt der Marktplatz, der momentan mehr Parkplatz als lebendige Begegnungsstätte ist. "Da wird einiges passieren", prognostiziert der Bürgermeister. Den denkmalgeschützten Marktbrunnen findet man auf alten Postkarten, sogar auf uralten Stichen. Es ist ein Relikt, das die Jahrhunderte überdauert hat und auch weiterhin zentraler Mittelpunkt des Ortes sein soll. Veranstaltungen im Herzen der Gemeinde – das ist ein Wunsch von vielen. "Die Ortskernbelebung ist mein Ziel", sagt der Bürgermeister der Gemeinde mit langer Historie. Der Wehrturm unweit des Ortszentrums ist der Überrest einer alten Grenzbefestigung und war im Jahr 1252 zum Schutz der Berchtesgadener Propstei und ihrer Salzwerke am Goldenbach und in Marktschellenberg errichtet worden.

Bauherr Thomas Schwaiger hat vorsorglich eine Internetseite einrichten lassen. Dort sollen sich Marktschellenberger und Interessierte über den aktuellen Stand der Dinge informieren können. Demnächst soll auch ein 3D-Modell fertig werden, das der Gemeindechef beauftragt hat. Der Neubau fällt in eine wortwörtlich ungünstige Zeit: Die Baupreise sind so hoch wie nie für Beton, Holz und Stahl. Acht Wochen wird die Entkernung des Hauses dauern, der Abriss einen weiteren Monat. "Mit zwölf bis 14 Monaten Bauzeit" rechnet Schwaiger im Anschluss. Er hofft, dass die Umsetzung in diesem Jahr starten kann. "Ich freue mich, dass wir eine Nutzung bekommen, die dem Ort endlich einen Vorteil bringt", sagt der Bürgermeister.