Festspiele Europäische Wochen
Londoner Tenor Ian Bostridge begeistertert in Burghausen

15.07.2022 | Stand 20.09.2023, 6:33 Uhr

Der lyrische Tenor Ian Bostridge sang Lied-Kompositionen von Haydn und Beethoven. Begleitet wurde er vom Oberon-Trio, das zudem auch zwei Klaviertrios der beiden Klassiker spielte. −Foto: Wetzl

Es war ein besonderer Abend, eine Ausnahme im gängigen Musikbetrieb. Die Europäischen Wochen bescherten dem Publikum am Donnerstag in der Kumax-Aula in Burghausen mit Liedkompositionen von Haydn und Beethoven eine Rarität. Zu Zeiten der Klassik waren solche Liedvorträge zwar äußerst populär, heute sind sie aber in Vergessenheit geraten. Sie wieder ins Bewusstsein zu rufen, dieses Verdienst gebührt den Veranstaltern. Leider stießen sie mit diesem mutigen Vorstoß nur auf mäßiges Interesse. Die 400 Zuhörer fassende Aula war nur halb besetzt. Aber die gekommen waren, erlebten ein wunderschön facettenreiches Konzert, waren zu Recht begeistert von dieser Neuauflage verschollener Klassik. Der Londoner Tenor Ian Bostridge und das seit 2006 bestehende Oberon-Trio präsentierten ein exzellentes Programm.

Der englische Musiker und Verleger George Thomson beauftragte einst Haydn, Beethoven und weitere Komponisten mit Volksliedbearbeitungen. Er wollte die alten Lieder aufwerten, ihnen mit gehobenem Niveau mehr Gewicht im Musikbetrieb geben, war Vorläufer der nationalen Bewegungen in der Musik, die später ganz Europa erfasste. Allein Haydn schrieb für Thomson über 400 solcher Liedbearbeitungen. Aus diesem Schatz sang Ian Bostridge in Burghausen einige der schönsten Stücke. Er ist die ideale Besetzung dafür. Seine Stimme hat in der Tiefe ungemein Timbre, in der Höhe wird sie weich und lyrisch. Bei diesen Liedern über Liebe, Kämpfe und das Leben auf dem Land ist nicht das schmetternde Forte gefragt, sondern die feine Kopfstimme. Bostridge singt ausdrucksstark und voller Poesie, zumeist in Englisch, aber auch deutsche Texte sind dabei, etwa wenn er ein Madl besingt oder das ukrainische Lied von der schönen Minka, in der ein Mann den Schmerz der Trennung von seiner Geliebten zum Ausdruck bringt.
Das Programm ist zudem klug zusammengestellt und insofern ein Zugeständnis an das Vertraute, als neben den Liedern auch zwei rein konzertante Werke erklingen. Nach dem Einstieg mit Haydn-Liedern folgt dessen Klaviertrio Nr. 45. Und im zweiten Teil des Abends erklingt Beethovens Trio Opus 11, das auch den Namen "Gassenhauer" trägt. Der dritte Satz verarbeitet eine Melodie der damals beliebten Oper "Korsar der Liebe", einen Schlager ihrer Zeit, den sich der große Beethoven zunutze machte, um seinem Werk zu mehr Popularität zu verhelfen. Danach gibt es noch einmal Lieder und dazu zwei Zugaben.

Das Oberon-Trio spielt äußert konzentriert, fantasievoll und mit einer Hingabe, die zu Recht Beifallsstürme auslöst. Gerade der sich unscheinbar im Hintergrund haltende Pianist Jonathan Aner ist es, der den Charakter dieses Trios bestimmt. Auf seinen präzisen und einfühlsamen Vorgaben können sich Geigerin Henja Semmler und Cellistin Antoaneta Emanuilova voll entfalten und wunderschöne melodische Akzente setzen. Exzellent bringt das Trio rhythmische Versetzungen etwa in Haydns drittem Satz zur Wirkung, agiert perfekt im Zusammenspiel. Dieses Trio ist ausgereift, bestens aufeinander eingestellt, Zuhören einfach ein Genuss.

Rainer Wetzl