Russische Invasion
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

05.07.2022 | Stand 20.09.2023, 6:08 Uhr

−Foto: Kay Nietfeld/dpa

Viereinhalb Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine kommen Finnland und Schweden auf ihrem Weg in die Nato voran. Am Dienstag unterzeichneten die 30 jetzigen Nato-Mitglieder die Beitrittsprotokolle der beiden bisher neutralen Länder.

In Lugano einigten sich die Ukraine und mögliche Geldgeber auf Prinzipien für den künftigen Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes. Doch ein Ende der Kämpfe ist nicht absehbar - im Gegenteil. Schwerpunkt ist nun das ostukrainische Gebiet Donezk. Die Ukraine steht schwer unter Druck.

Der seit dem 24. Februar laufende Angriff Russlands auf das Nachbarland hatte Finnland und Schweden zum Nato-Beitritt bewogen. Nachdem die Türkei ihr Veto aufgeben hatte, öffnete das Bündnis beim Gipfel in Madrid vergangene Woche grundsätzlich die Tür. Nun folgte mit der Unterzeichnung der Beitrittsprotokolle der nächste entscheidende Schritt.

Die Protokolle müssen von allen Nato-Staaten ratifiziert werden. In Deutschland soll am Freitag der Bundestag darüber abstimmen. Im Idealfall soll noch vor dem Jahresende der Beitritt vollzogen werden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach schon jetzt von einem "historischen Tag für Finnland, für Schweden, für die Nato und für die euro-atlantische Sicherheit".

Steinmeier nennt den russischen Krieg ein mörderisches Verbrechen

Das transatlantische Bündnis sieht sich durch den Beitritt besser gewappnet gegen mögliche russische Bedrohungen. Doch für die Kriegssituation in der Ukraine ändert sich vorerst wenig. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte den russischen Angriffskrieg in Nürnberg ein mörderisches Verbrechen und forderte, die internationale Gemeinschaft müsse sich der imperialen Kriegstreiberei entgegenstellen.

"Wir müssen uns zur Wehr setzen", sagte Steinmeier. "Das schulden wir den vielen mutigen Menschen in der Ukraine, die Tag für Tag Widerstand leisten." Verantwortlich sei allein der russische Präsident Wladimir Putin. Deutschland stehe fest und entschlossen an der Seite der Ukraine.

Das Thema deutsche Waffenlieferungen bleibt jedoch ein wunder Punkt. Forderungen aus den Reihen von FDP und Grünen nach Lieferung des Transportpanzers Fuchs erteilte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, eine Absage. Die Abgaben aus Beständen der Bundeswehr dürften nicht zulasten der eigenen Einsatzbereitschaft gehen, sagte der General der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Ukrainische Männer müssen am Wohnort bleiben

Die Führung in Kiew und das ukrainische Militär stehen wegen der russischen Offensive im Osten des Landes unter großem Druck. Das ukrainische Verteidigungsministerium untersagte Männern im wehrpflichtigen Alter das Verlassen ihres Wohnorts. Am Wochenende hatte die Ukraine die Stadt Lyssytschansk aufgeben müssen. Die russischen Streitkräfte haben damit das Gebiet Luhansk größtenteils unter ihrer Kontrolle.

Nun liegt der Schwerpunkt der Kämpfe nach Darstellung des ukrainischen Generalstabs im benachbarten Gebiet Donezk. Bei Bilohoriwka und Werchnjokamjanske seien erfolgreich russische Angriffe abgewehrt worden, teilte der Generalstab am Montagabend mit. Umkämpft sei das Wärmekraftwerk Wuhlehirsk westlich des bereits von prorussischen Separatisten eroberten Switlodarsk. Gebietsgewinne hätten die russischen Truppen nördlich von Slowjansk bei Masaniwka erzielt. Fast überall in der Ukraine gab es in Nacht zum Dienstag Luftalarm. Aus dem nordöstlichen Gebiet Sumy wurde Beschuss mit Raketen und Granaten gemeldet, der mehrere Menschen verletzt habe.

Die beiden russischen Grenzregionen Brjansk und Kursk warfen ihrerseits der ukrainischen Seite erneut Beschuss vor. Der Brjansker Gouverneur Alexander Bogomas schrieb auf Telegram, das Dorf Sernowo sei mit Artillerie beschossen worden, verletzt worden sei niemand. Auch aus den betroffenen Kursker Dörfern gab es zunächst keine Informationen über mögliche Opfer. Die Angaben der Kriegsparteien sind nicht unabhängig zu überprüfen.

Selenskyj will mit Wiederaufbau nicht warten

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dringt darauf, trotz der laufenden Kämpfe rasch mit dem Wiederaufbau des Landes zu beginnen. Allein in den Gebieten, aus denen russische Truppen wieder vertrieben worden seien, gebe es Zehntausende zerstörte Häuser. Auch müsse sich die Ukraine auf den Winter vorbereiten und die Energieversorgung sichern, sagte Selenskyj in einer Videoansprache.

Den Wiederaufbau vorbereiten sollte eine Konferenz in Lugano mit Vertretern der Ukraine, von Geberländern und internationalen Institutionen. Sie ging mit einer "Erklärung von Lugano" und der Einigung auf sieben Prinzipien zu Ende. Diese sollen sicherstellen, dass das Geld für den Wiederaufbau in die richtigen Bahnen fließt. Die ukrainische Regierung schätzt den Bedarf dafür auf mindestens 720 Milliarden Euro.

Unter anderem versprach die Ukraine, rigoros gegen Korruption vorzugehen. Zudem verpflichtete sie sich auf einen demokratischen Prozess, die Einbindung privater Unternehmen, eine grüne Transformation hin zu einer CO2-freien Gesellschaft, eine digitalisierte Verwaltung und Aufbauprojekte frei von Vetternwirtschaft und Bereicherung. "Die Korruptionsbekämpfung ist ein ganz wichtiges Thema", sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) der dpa in Lugano. Deutschland helfe da sehr.

Ukraine will OECD-Mitglied werden

Die Ukraine will der Industrieländerorganisation OECD beitreten. Er habe im Namen des Landes einen entsprechenden Antrag gestellt, teilte Ministerpräsident Denys Schmyhal per Nachrichtendienst Telegram mit. Die Mitgliedschaft der Ukraine in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sei "einer der Eckpfeiler des erfolgreichen Wiederaufbaus und der Entwicklung" der Ukraine.

Die in Paris ansässige OECD vereint Länder, die sich zu Demokratie und Marktwirtschaft bekennen. Mittlerweile sind neben großen Volkswirtschaften wie Deutschland, den USA und Japan auch Schwellenländer wie Mexiko und Chile Mitglied.

IAEA: Gefahr in AKW Saporischschja steigt täglich

Die andauernde russische Besetzung des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja wird der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zufolge zunehmend zum Sicherheitsproblem. Das ukrainische Management und die lokalen AKW-Mitarbeiter seien extremem Stress und schwierigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. "Jeden Tag, an dem das so weitergeht, steigt das Risiko für einen Unfall oder eine Verletzung der Sicherheit", sagte IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi bei einem Vortrag an der australischen Nationaluniversität in Canberra.

Das AKW in der südlichen Ukraine ist das größte Atomkraftwerk im Land und in ganz Europa. Die Anlage steht seit rund vier Monaten unter Kontrolle des russischen Militärs. Die Datenverbindung zwischen der IAEA in Wien und Saporischschja, die zur Überwachung des Nuklearmaterials dient, ist während der Besetzung immer wieder unterbrochen worden. Grossi forderte daher erneut Zugang für ein IAEA-Team zu dem Kraftwerk.