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Kinderarzt von Garissa: "Wissen nicht, wie viele Kinder gerade sterben"

14.12.2021 | Stand 12.10.2023, 10:16 Uhr

"Manchmal kommen die Mütter mit ihren Kindern zu spät, und wir können nichts mehr für sie tun", sagt Dr. Ambrose Misori. Der Kinderarzt und medizinische Leiter im Bezirkskrankenhaus von Garissa behandelt jeden Tag Kinder, die so schwer mangel- und unterernährt sind, dass sie ums Überleben kämpfen. −Foto: Eva Fischl

Angesichts der Dürre stellt sich Kinderarzt Dr. Ambrose Misori im Bezirkskrankenhaus von Garissa auf eine Katastrophe mit Riesenausmaß ein.

Dr. Ambrose Misori ist kein Mann der großen Worte. Er gehört zum Typus jener Ärzte, wie man sie in unterentwickelten Regionen oft trifft. Engagiert bis zur Selbstaufgabe, aber auch auf eine offene Art realistisch, die für den Besucher aus einem reichen Industrieland fast verstörend wirkt. "Wir wissen nicht, wieviele Kinder da draußen gerade sterben", sagt der Kinderarzt beim Interview im Bezirkskrankenhaus von Garissa.

Die Klinik im Osten Kenias ist für zwei Millionen Menschen zuständig. "In normalen Zeiten ist schon viel los", erklärt Dr. Ambrose Misori. Doch die Dürre stelle gerade alles in den Schatten, die Zahl schwer unter- und mangelernährter Kinder steige stetig an. "Die Räume werden voll werden", prophezeit der medizinische Leiter. Dabei wirkt die Kinderstation bereits bei unserem Besuch Ende Oktober überfüllt. Dutzende Mütter und ihre Kinder teilen sich einen Raum, freie Extra-Betten gibt es jetzt schon nicht mehr.

Kaum Regen

Im November und in der ersten Dezember-Woche hat es im Osten und Norden Kenias weiter kaum geregnet. "Die Versorgung mit Lebensmitteln wird immer schwieriger", schreibt Shahmat Yussuf, die staatliche Bezirkskoordinatorin für Ernährung in Garissa, in einer aktuellen E-Mail an die PNP. Immer mehr Kinder hungern.

Dr. Misori und sein Team stellen sich auf "eine Katastrophe mit Riesenausmaß" ein. "Wenn wir die betroffenen Kinder jetzt nicht ausfindig machen und behandeln, passiert auch bei uns, was wir gerade in Madagaskar, in Somalia oder im Südsudan sehen", warnt der erfahrene Kinderarzt. Aus den selbst für Hilfsorganisationen schwer zugänglichen Ländern Afrikas erreichen die Verantwortlichen Berichte und Bilder, wie die Welt sie noch aus den 1980er Jahren kennt – von massenhaft verhungernden Kindern.

"Manchmal kommen die Mütter mit ihren Kindern zu spät, und wir können nichts mehr für sie tun", sagt Dr. Misori. Gerade in den abgelegenen Nomadengebieten an der Grenze zu Somalia sei die Lage verheerend. "Kein Wasser bedeutet kein Essen. Es bedeutet, dass die Rinder, Ziegen, Esel und Kamele sterben und die Kinder nicht einmal mehr Milch zu trinken bekommen. Wenn die Tiere sterben, sterben auch die Familien", bringt es der Kinderarzt knallhart auf den Punkt.

"Je eher sie kommen, desto mehr können wir tun"

"Natürlich versuchen wir das zu verhindern. Die Regierung liefert Heu für die Tiere, Dorfhelfer versuchen, die betroffenen Kinder ausfindig zu machen. Denn je eher sie zu uns kommen, desto mehr können wir hier in der Klinik für sie tun", erklärt Dr. Misori. Doch das sei leichter gesagt als getan. Das System der Dorfhelfer sei personalintensiv und mit der Corona-Pandemie nicht einfacher geworden. Organisationen wie Unicef unterstützten hierbei zwar die Regierung, doch auch deren finanzielle und personelle Mittel seien begrenzt. Dabei weiß Dr. Misori: "Wir müssen jetzt handeln, sonst ist es zu spät."

Von den Kindern, die in die Klinik eingeliefert werden, könne er viele mit Spezialnahrung und Medikamenten so aufpäppeln, dass sie ein normales Leben führen könnten. "Doch manchmal retten wir das Leben eines Kindes und wissen, dass seine kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt sind. Dann ist das Hirn bereits geschädigt, es wächst nicht richtig und wird sein Leben lang klein bleiben. Es wird nicht beschulbar sein, als Mädchen wird es nicht gebären können. Da schnappt die Armutsfalle schon jetzt zu."

Clans kämpfen um jeden Tropfen Wasser

Ein anderer konkreter Fall, der den Kinderarzt an diesem Tag beschäftigt, ist eine Gruppe Kinder mit Diabetes, die er eigentlich in der Klinik erwartet hätte. "Sie sind nicht gekommen, aber manche von ihnen brauchen dringend Insulin. Wir haben hier keinen Sanka, der die Kinder abholen kann. Mit dem Esel oder dem Kamel sind sie zwei Tage unterwegs, wenn sie überhaupt noch Transporttiere haben."

Doch nicht nur seine Station hat mit den Folgen der Dürre zu kämpfen. "Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein schwer verletzter Nomade in die Klinik gebracht wird", berichtet der Arzt. Die Dürre und der Kampf um die wenigen Wasserstellen für die Tiere sorgten für schlimme Revierkämpfe unter den Clans. "Wir haben hier in der Region nur den einen großen Fluss. Alles sammelt sich an den Ufern des Tana, und dann brechen dort die bewaffneten Konflikte aus."

Der Klimawandel, da ist sich Dr. Ambrose Misori sicher, werde diese Probleme in den nächsten Jahren nur weiter verschärfen. "Unsere Nomaden brauchen Alternativen, und das geht nur mit Aufklärung und Erziehung", sagt er. Doch bis dahin wird er sich weiter um jedes Kind kümmern, das zu ihm in die Klinik gebracht wird, und darum kämpfen, dass es noch eine Chance hat.