Paul Zauners Jazzfestival
Inntöne 2020: Musikhören ist Freiheit, die Maske egal

Paul Zauners Inntöne-Jazzfestival im oberösterreichischen Diersbach wird 2020 zum Trainingslager in Sachen Gelassenheit und Zuversicht

16.08.2020 | Stand 20.09.2023, 5:43 Uhr

Das Ambiente ist weit mehr als eine Notlösung: Inntöne 2020 auf der Open-Air-Wiese. −Foto: Toni Scholz

Manchem schlägt dieses Jahr dermaßen aufs Gemüt, dass alle Gedanken und Sorgen nur noch um ein Thema kreisen. Nichts darf man mehr? Die Kultur geht vor die Hunde? Die Menschen vereinsamen? Einfache Antworten gibt es darauf nicht; Zeichen und Wegweiser, wie sich Gedanken und Empfindungen in eine positive Richtung lenken lassen, durchaus. Der Jazzposaunist und Veranstalter Paul Zauner aus Diersbach in Oberösterreich etwa hatte bewusst darauf verzichtet, sein Inntöne-Festival an Pfingsten abzusagen und kündigte stattdessen gleich die Ersatzveranstaltung für Mariä Himmelfahrt an.

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Die Inntöne 2020 waren dieses Wochenende völlig anders als die Jahre davor – und verströmten doch dasselbe Lebensgefühl. Statt in der beengten Scheune steht die Bühne auf der Wiese davor, die leichte natürliche Schräge sorgt für Konzerthaus-Übersicht. Mit Schildern, mit Schachbrettmuster und aufgesprühten Nummern im Gras sind die Plätze und Abstände markiert, die Gäste lagern auf selbst mitgebrachten Picknickdecken, Garten-, Camping oder Liegestühlen, hüllen sich in Regenjacken, schützen sich mit Schirmen und Gummistiefeln oder ergeben sich barfuß welchem Wetter auch immer: Zur Eröffnung am Freitag muss im zweiten Konzert wegen der Güsse und Blitze eine Stunde unterbrochen werden; viele Besucher bleiben bis zum Schluss und wollen den italienisch Akkordeonisten Luciano Biondini im Duett mit dem Schweizer Vokalkünstler Andreas Schaerer improvisieren hören. Nach Wechselwetter am Samstag endete das Festival gestern in strahlender Sonne.

"Ich bin ganz zufrieden", sagt Paul Zauner in einer ersten Bilanz gegenüber der PNP. Wobei "ganz" im österreichischen Sinn nicht als "relativ", sondern als "sehr" zu verstehen ist. "Es ist wirklich wunderschön draußen, und musikalisch bin ich extrem zufrieden." Rund 1650 zahlende Besucher hat er gezählt, das seien etwa 60 Prozent der Vorjahre. Die Gastronomie sei nur auf rund ein Drittel der Einnahmen gekommen. "Damit habe ich aber gerechnet. Sonst waren viele Leute am Hof, die zum Frühschoppen oder zum Essen gekommen sind und gar keine Eintrittskarte hatten – das war wegen der Coronaregeln diesmal nicht möglich." In den Vierseithof selbst, wo sich sonst die Massen drängeln, dürfen höchstens 200 Personen, Ordner mit Zählgeräten sperren immer wieder mal den Zugang. Es ist ungewohnt, es ist etwas kompliziert, aber es geht. "Vielleicht müssen wir dauerhaft ein wenig umdenken", schaut Zauner auf 2021, 2022 voraus.

So wie der Veranstalter seinen Blick auf das richtet, was machbar ist, so zeigen die Musiker dasselbe mit ihren Mitteln: Das britische Trio JZ Replacement mit dem Keyboarder Elliot Galvin, Schlagzeuger Jamie Murray und dem russischen Altsaxofonisten Zhenya Strigalev – alle erst in ihren Zwanzigern – zerschmettern mit ihrem Auftritt traditionelle Vorstellungen von Jazz. Sie verwenden dessen Sprache, um dichte, intensive rhythmusgetriebene House-Trip-Hop-Clubmusik zu schaffen, die mit Coolness und hohem Tempo auf Trance und Ekstase zielt.

"In der Musik merkt man, was man miteinander schafft", sagt Paul Zauner. "Es ist schön, wenn man seine Identität bewahrt und hört, wo einer herkommt. Aber letztlich ist es wurscht, ob einer Norweger, Südafrikaner, Texaner oder Slowene ist." Ein solcher ist Saxofonist Vasko Atanasovski, eine der Entdeckungen der Inntöne 2020. Im Quartett mit dem französischen Tubavirtuosen Michel Godard, dem italienischen Akkordeonisten Simone Zanchini und dem slowenischen Drummer Marjan Stanic reißt er zu Standing Ovations hin, indem er italienischen Tanz und Balkanbeat mit freier Jazzimprovisation paart.

Und wo bleibt bei alledem der Corona-Kummer? Höflichst erinnern Ordner, Mund und Nase zu bedecken, diszipliniert folgt das Publikum. "Das Festival kann nur funktionieren, wenn alle zusammenhalten", sagt Paul Zauner. Die ersehnte Freiheit besteht hier darin, Livemusik zu hören, das Stück Stoff ist da schnuppe. Selbst wenn wir in fünf Jahren noch mit Corona zu tun haben – Kultur ist und bleibt möglich. Festivals wie das Inntöne 2020 haben es gezeigt.

Raimund Meisenberger