Premiere im Musiktheater
"Im weißen Rößl" am Stadttheater Passau mit Kitsch und Ironie

03.10.2022 | Stand 21.09.2023, 0:00 Uhr

Hemmungsloser Bühnenkitsch und traditionelle Kostüme erwarten das Publikum "Im weißen Rößl" – aber es gibt auch einige Überraschungen. Hier schreibt Rößl-Chefin Josepha (Reinhild Buchmayer) ihrem Zahlkellner Leopold (Daniel Preis) gerade das Zeugnis. −Fotos: Peter Litvai

Sogar Kaiser Franz Josef fand die Wiener Staatsoper hässlich – worauf ihr Architekt Eduard van der Nüll am 3. April 1868 einen Strick nahm und sich erhängte. Der Legende nach war der Kaiser davon so schockiert, dass er fortan keine Kritik mehr äußerte, sondern zu allen (kulturellen) Ereignissen – egal welcher Qualität – stets immer nur noch denselben Satz sagte: "Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut." Ein grandioser Satz, der alle glücklich macht und unter seiner Inhaltsleere alles Unschöne fein diskret verdeckt.

Gastdirigent Kai Röhrig fegt alle Skepsis beiseite

Nach der Premiere "Im weißen Rößl" zum Auftakt der angekündigten Gute-Laune-Eskapismus-Spielzeit des Landestheaters Niederbayern im Passauer Stadttheater am Samstagabend hätte der Kaiser den glückseligen Jubel des Publikums genießen können. Er hätte einfach geschwiegen über den Schock, als der Vorhang sich öffnet und ein himmelschreiend altbackenes Bühnenbild zum Vorschein kommt. Wie im Bauerntheater, wie absichtlich schlecht gepinselt stellt Ausstatter Marcel Zaba Salzkammergut-Berge, See, Himmel, Laub, Hotelfassade und Pappmaché-Felsen auf die Bühne. Hemmungsloser Service für Peter-Alexander-Fans?

Ralph Benatzkis Singspiel von 1930 über Kellner Leopold, der seine Chefin Josepha umwirbt und über meckernde Berliner Unternehmer, die das Jodeln lernen, bietet erst mal so viel unbeschwerte Unterhaltung und fantastische Ohrwurmmelodien, dass damit auch eine jüngere Generation zu begeistern ist, wie der knallbunt-überdrehte Kinofilm "Im weißen Rössl – Wehe du singst!" 2013 gezeigt hat.

Im Passauer Theater fegt die Niederbayerische Philharmonie unter der Leitung des Gastdirigenten und früheren Passauer Kapellmeisters Kai Röhrig – seit 2014 Professor und musikalischer Leiter der Opernklasse an der Universität Mozarteum in Salzburg – alle Skepsis beiseite. Herrlich klar lässt er die Musik ungehetzt atmen, spielt mit Tempo und Dynamik, gibt den Walzern Schmelz und Schwung, den Polkas Feuer und dem Swing jazzig federnde Leichtigkeit. Der von Eleni Papakyriakou einstudierte Chor sprüht vor Bühnenlaune und Schauspiellust und zeigt sich sängerisch in der Premiere bestens disponiert.

Liebenswert, schlicht, ehrlich, charmant, das gute Herz auf der Zunge und zur rechten Zeit ein wenig dominant – so präsentiert Daniel Preis den Leopold mit naturschöner Tenorstimme. Sängerisch exzellent, in Sprechstimme und Schauspiel sehr defensiv agiert die Salzburger Mezzosopranistin Reinhild Buchmayer als Salzkammergut-Wirtin Josepha.

Ironische Pointen in der konservativen Regie

Roman Pichler und Jenifer Lary (als Einspringerin für Emily Fultz) geben als Dr. Siedler und Ottilie ein feines lyrisches Duo ab, komödiantisch glänzen Claudia Bauer und Miroslav Stričevic, wobei sich der Bassbariton konsequent unter den hohen Lagen durchmogelt. Peter Tilch und Kyung Chun Kim kosten die Schrulligkeiten der Herren Giesecke und Hinzelmann köstlich aus. Choreografin Sunny Prasch peppt das Geschehen mit ihrem typischen Mix aus Discomoves, Contemporary Dance und Revuestandards samt gestreckter Schlussposen auf.

So vorhersehbar die Regie von Urs Häberli, scheidender Intendant am Pfalztheater Kaiserslautern, erst dahinschnurrt, so setzt er später einige ironische Pointen: Auftritte von menschlichen Bäumen in scheußlichen Kostümen, köstlich überzogenes Schwanenballett zur Liebesszene, ein Putztrupp, der Theaterregen einsaugt und schauderhaft dazu singt. Gerade genug Brechungen für Operettenskeptiker, wenig genug für Operettenfans. Es war sehr schön, es hat das Publikum sehr gefreut!

Raimund Meisenberger

Das "Rößl" ist in Passau bis Juni 2023 zu sehen, demnächst am 14., 15., 21., 22. Oktober, Karten gibt es unter 0851/9291913