Viel Jubel für Dirigent Currentzis
Höllenfahrt in Weiß: "Don Giovanni" bei den Salzburger Festspielen

27.07.2021 | Stand 21.09.2023, 3:24 Uhr

Liebesduett mit geheimnisvoller Nackter: Anna Lucia Richter als Zerlina und Davide Luciano als Don Giovanni. −Foto: Rittershaus

Erst einmal wird abgeräumt. Bevor der erste Ton der Ouvertüre zu Mozarts Oper "Don Giovanni" erklingt, kommt ein Umzugsdienst auf die Bühne, die einen Renaissance-Kirchenraum darstellt. Figuren werden abmontiert, Bilder entfernt, Kirchenbänke und Altar herausgeschoben, das Kreuz von der Wand genommen. Stattdessen wird ein Basketball-Korb aufgehängt. Ein heller, säkularisierter Raum entsteht, voller Tradition und wie geschaffen für den Sünder Don Giovanni.

Ein großartiges Bild für den Frauenhelden. Regisseur Romeo Castellucci scheint sich im Großen Salzburger Festspielhaus weniger für Psychologie zu interessieren als für gekonnt arrangierte Tableaus: eine Oper wie eine Installation, voller Anspielungen an die Kunstgeschichte. Alles scheint Bedeutung zu haben, vieles bleibt rätselhaft. Da rennt eine Ziege über die Bühne, eine dressierte Ratte hat ebenso ihren Auftritt wie andere Tiere. Bei Don Giovannis Erscheinen stürzt krachend ein Sportwagen auf die Bühne, der Komtur, den Don Giovanni tötet, wird durch einen herabfallenden Rollstuhl charakterisiert.

All das scheint dem Ziel zu dienen, die Personen zu ironisieren. Am deutlichsten wird das bei Don Ottavio, der mal wie ein Operetten-Präsident kostümiert herumläuft, dann wie ein kindischer König mit Goldkrone und immer wieder mit einem frisierten Pudel. Sein Schmerz, sein Kampf um Gerechtigkeit für Donna Anna, deren Vater getötet wurde, wird hier der Lächerlichkeit preisgegeben.

Ungewöhnlich wirkt Castelluccis Personenführung. Wenn Donna Elvira ihre wütende Arie Don Giovanni entgegenschleudert, erscheint neben ihr der Grund, warum sie der Frauenheld verlassen hat: eine nackte, schwangere Frau. Fast hat man den Eindruck, Castellucci nimmt die Titelbezeichnung allzu genau: Drama giocoso – die "lustige" Oper. Auch wenn der Humor des Italieners manchmal schräg daherkommt.

Komtur wird von Don Giovanni nicht im Degen-Duell erstochen, sondern gezeigt wird ein Kampf mit der Krücke. Donna Anna und Ottavio beklagen den Tod nicht neben der Leiche, sondern scheinen Krücke und Matratze zu betrauern. Leporello erscheint bei der berühmten Registerarie mit einem Fotokopierer. Individuen scheinen nicht wichtig zu sein in diesem ewigen Kampf der Geschlechter. Deshalb sehen die Männer, insbesondere Don Giovanni und sein Diener Leporello, alle kaum unterscheidbar aus.

Im zweiten Akt lässt Castellucci einen stummen Frauenchor von Salzburgerinnen auftreten, mal leicht bekleidete Lustobjekte, dann wieder tobende Erinnyen in schwarzen Gewändern.

Während Castellucci den tragischen Stoff hinter einem Gaze-Vorhang wegdimmt, räumt Dirigent Teodor Currentzis den menschlichen Nöten so viel Raum ein wie nur möglich – durch Verlangsamung, durch besonders innige, leise Töne, durch alles zerdehnende Pausen. Currentzis zeigt sich nicht mehr als Draufgänger, der drastischer dirigiert als all seine Kollegen, er lotet mit größter Hingabe die seelischen Verwundungen gerade der Frauengestalten aus – und wird dafür vom Publikum bejubelt.

Im Zentrum der Musik stehen die bewegenden Frauenarien im zweiten Akt und Don Ottavios Verzweiflung. Kein anderer singt von diesen Abgründen so makellos schön wie Michael Spyres. Hinreißend als Donna Anna ist Nadezhda Pavlova mit berührendem Pianissimo ebenso wie mit flammenden, verzweifelten Ausbrüchen. Bebend vor Zorn singt Federica Lombardi die Donna Elvira und mit souveräner Eleganz Anna Lucia Richter die Zerlina. Davide Luciano als Don Giovanni ist ein attraktiver Antiheld, der alles gibt, sängerisch, physisch und schauspielerisch. Am Ende reißt er sich die Kleider vom Leib und bestreicht sich mit weißer Farbe, der Farbe der Unschuld. Bis er hochdramatisch stirbt. Im Schlussbild werden Gipsfiguren auf die Bühne getragen, die an die Opfer des Vulkanausbruchs in Pompeji erinnern – erstarrte Zeugnisse von Don Giovannis Höllenfahrt, Dokumente des Siegs der Frauen über einen sündigen Mann.

Jesko Schulze-Reimpell



Am 7. August um 22.05 Uhr überträgt Arte die Oper zeitversetzt