Scharfrichterhaus Passau
Helene Bockhorst macht sich in schriller Klamotte nackig vor Fremden

27.03.2022 | Stand 21.09.2023, 4:44 Uhr

Die 34-jährige Helene Bockhorst tritt erst seit 2018 als Kabarettistin auf Live-Bühnen auf − am Samstag war sie im Scharfrichterhaus in Passau mit ihrem Solo-Programm zu sehen. −Foto: Christine Pierach

Mut, der personifizierte Mut, steht mit Helene Bockhorst (34) aus Harburg, derzeit Mannheim, auf der Bühne. Am Samstag war es die der Scharfrichter, auf der die junge Kabarettistin ihr aktuelles Solo-Programm "Die Bekenntnisse der Hochstaplerin Helene Bockhorst" präsentierte.

Die Slam-Poetin, Stipendiatin, Literatin und Kleinkünstlerin tritt erst seit 2018 mit abendfüllenden Soli auf, davon zwei Jahre in Lockdown-Zwangspause. Und doch agiert sie überaus professionell und geschickt. Ihr Markenzeichen sind Tabubrüche und echte Selbstbekenntnisse, keineswegs erfundene der Bühnenfigur. Die Bockhorst reiht in den Bekenntnissen der Hochstaplerin, weil in jedem zweiten Programm Nichtskönner auffliegen, scheinbar Episoden und Episödchen aus dem Alltag aneinander. Dabei ist das der dramaturgisch gekonnte Aufbau dafür, mit bestimmten Pointen und Gesten immer wieder für Lacher zu sorgen, beiläufig dem Publikum dieses Insider-Gefühl zu vermitteln. Aktuell lassen Pferdemädchen, stellt ihr Pferd sich stur, gerne dessen Kopf röntgen. Babys lieben Händchen fressende Helene-Kraken. "Kopf röntgen" oder der Krake als Ablenkungsmanöver bei bestimmten Menschen in bestimmten Situationen wie Trennungs-Gespräch oder dem Kondom-Moment beim Sex sind solche Running Gags. Ein weiterer: die Zugabe als Träller-Sushi für die Verarsche eines Saufhit-Sängers.

Funktioniert im ersten Teil prima. Nach der Pause holpert es, "da fehlt noch der rote Faden", weiß Helene Bockhorst selbst im PNP-Gespräch. "Ich schreibe eher auf der Bühne", erklärt sie ihre Liebe zu Offenen Bühnen und Mixed Shows, bevorzugt in Berlin, zwei Wochen am Stück. Da probiert sie sich aus, mit drei Stichworten im Kopf, feilt an Gags, schmeißt sie, wenn sie nicht funktionieren, ganz raus.

Mutig an den Soli ist nicht nur die stets knallbunte, eigenwillige Kleidung. Die sagt nichts aus außer "naja, ich habe halt einen seltsamen Geschmack". Sondern mutig ist auch, dass sie viel von sich preisgibt, Niederlagen, Schwächen, sich trotz Klamotte nackig macht vor Fremden.

Besonders mutig aber ist, dass Helene Bockhorst, geschlagen mit Extrem-Lampenfieber, sich dieser Angst stellen wollte und will: "Sonst wird dein Radius immer kleiner." Inzwischen kann sie nachmittags noch etwas essen ohne Brechreiz abends auf der Bühne. Warum quält sie sich aber weiter? "Bei meiner Premiere litt ich. Als ich merkte, die hören mir zu, beim ersten Lacher, war ich total glücklich. Das macht süchtig. Wenn ich nur zu ein paar Leuten eine Verbindung spüre, so wie heute hier in Passau, wie flüchtig das auch ist, das ist es wert."

Christine Pierach