PNP-Spendenaktion
Friedhof der verhungerten Tiere in den kenianischen Dürregebieten

07.12.2021 | Stand 20.09.2023, 21:33 Uhr

Die Rippen stehen ihm einzeln hervor: Gutu ist eines der wenigen Kälber, die der Familie von Ahmed Abdi noch geblieben sind. Die Dürre hat die einst stolze Herde von 200 Rindern auf 15 Tiere dezimiert. Gutu trägt einen Maulkorb, damit das hungrige Tier keinen Müll frisst oder Kleider anknabbert. −Fotos: Hedemann

Weil es seit Jahren kaum geregnet hat, verhungert in den kenianischen Dürregebieten das Vieh. Der Tod der Tiere gefährdet auch das Überleben der Hirten.

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Damit Gutu in ihrer Verzweiflung nicht Plastikmüll frisst oder versucht, Sairuq die Kleider vom Leib zu fressen, hat die Zwölfjährige dem Kalb aus einem alten Plastikkanister einen Maulkorb gebaut. Gutu ist jetzt Sairuqs Lieblingskuh. Bis vor drei Tagen war Kus Sairuqs Lieblingskuh. Bis sie verhungerte. Ihr ledriger Körper liegt unweit von Sairuqs Hütte im Staub. Neben all den anderen toten Ziegen und Rindern. Damit nicht auch Gutu bald auf dem Friedhof der verhungerten Tiere landet, füllt die zwölfjährige Sairuq dem Kalb jeden Tag einen Brei aus Maismehl in den selbstgebauten Maulkorb. Dennoch scheint das geschwächte Tier jeden Tag magerer zu werden.

"Ich war mein ganzes Leben lang Viehhirte. Aber ich habe so etwas noch nie erlebt. Die Tiere sind so hungrig, dass sie mittlerweile ihren eigenen Kot fressen. Es bricht mir das Herz", berichtet Sairuqs 73-jähriger Vater Ahmed Abdi.

"Beten jeden Tag, dass es anfängt zu regnen"

Seit Jahren hat es im Osten Kenias kaum geregnet. Regenzeiten fielen komplett aus oder brachten kaum Niederschläge. Die Temperaturen steigen tagsüber oft auf über 40 Grad im Schatten. Aber da die Tiere mittlerweile alle erreichbaren und bekömmlichen Blätter von den dürren Büschen und Bäumen in der Savanne gefressen haben, gibt es kaum noch irgendwo Schatten. "Wir können nur jeden Tag beten, dass es endlich anfängt zu regnen", sagt Ahmed Abdi. Zwar hat er Regierungsvertreter, die die Nomaden in der Dürreregion im Osten Kenias besucht haben, schon mal davon reden hören, dass der Klimawandel der Grund für die immer häufiger auftretenden Dürren sein könnte, doch der gläubige Muslim ist fest überzeugt, dass Gott die Menschen mit der großen Trockenheit für die vielen Kriege und Kämpfe auf der ganzen Welt bestrafen will.

Auch Hirten aus seinem Dorf seien an diesen Sünden schon beteiligt gewesen. Auf der Suche nach Weidegründen seien sie mit ihren Herden bis weit ins benachbarte Bürgerkriegsland Somalia gezogen. Als sie dort auf einheimische Viehhirten trafen, sei es zu Kämpfen um das immer knapper werdende Wasser und Futter für die Tiere gekommen, erzählt der Viehhirte. Es habe Verletzte und Tote auf beiden Seiten gegeben.

Vor der Dürre nannte Ahmed Abdi 200 Rinder, 150 Ziegen und Schafen sowie sechs Esel sein eigen und war damit ein angesehener Mann. Jetzt leben noch 15 Rinder, insgesamt 50 Schafe und Ziegen und ein Esel.

Zwar lässt die Regierung mit Lastwagen Heu und Maismehl aus weniger von der Dürre betroffenen Landesteilen in den Osten Kenias fahren, doch für viele der bereits geschwächten Tiere kommt die Hilfe zu spät. Jeden Tag versuchen Ahmed Abdi, seine Frau und seine sieben Kinder, das Vieh mit Maismehl zu füttern, doch viele der Tiere sind bereits so geschwächt, dass sie die Nahrung nicht mehr richtig aufnehmen können. Der Nomade befürchtet, dass er all seine Tiere verloren haben könnte, bevor seine Gebete endlich erhört werden.

Für ihn und die anderen Nomaden stirbt mit jedem Tier auch ein Teil ihrer Identität und ihrer Zukunft. Für die Viehhirten, die meist kaum anderen Besitz und kein Bankkonto haben, sind die Tiere Lebensversicherung, Lebensinhalt und ihr ganzer Stolz.

Tiere sind zu schwach, um es zum Viehmarkt zu schaffen

Da mittlerweile bereits große Tierbestände verendet sind, müssen die Viehhirten irgendwie versuchen, zumindest ein paar Tiere durchzubringen, damit sie, sollte es endlich anfangen zu regnen, wieder größere Herden aufbauen können. Um die abgemagerten Tiere noch zu Geld machen zu können, ist es mittlerweile zu spät. Die Rinder, Ziegen und Schafe sind bereits zu schwach, um den langen Marsch zum nächsten Viehmarkt zu schaffen. Und selbst, wenn sie es bis dorthin schaffen sollten: "Niemand kauft ein dürres Tier, das nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen kann", weiß Ahmed Abdi.

Früher konnten all seine Kinder jeden Tag so viel frisch gemolkene Milch trinken, wie sie wollten. Doch schon lange bleiben die Euter seiner Tiere leer. Für Sairuq und ihre Geschwister beginnt der Tag seitdem ohne Frühstück.

Durst müssen Ahmed Abdi und seine Familie dennoch nicht leiden. Rund 150 Meter von ihrer Hütte entfernt, hat Unicef einen im letzten Jahr von der Regierung gebohrten Brunnen mit einer solarbetriebenen Pumpe ausgestattet. Manche Bewohner des Dorfes Shantaabaq legten eine Wasserleitung bis auf ihre Grundstücke. Seitdem leiden vor allem die Kinder viel seltener unter Durchfall und anderen durch Wasser übertragenen Krankheiten.

Auch Gutu, Sairuqs Kalb, trinkt das saubere Wasser, das mit der Kraft der Sonne aus mehreren Hundert Metern Tiefe an die staubige Oberfläche gepumpt wird. Um die ausgedörrte Savanne zu begrünen und saftiges Futter für das Vieh wachsen zu lassen, reicht das Wasser jedoch nicht. Sairuq wird deshalb auch heute versuchen, Gutu mit Maisbrei zu füttern. Und ihr Vater wird auch heute wieder für Regen beten.