Justizirrtum oder "Staatsverbrechen"?
Fall Mollath wird in einem neuen Buch dokumentiert

22.02.2021 | Stand 21.09.2023, 1:38 Uhr

Justizopfer Gustl Mollath saß jahrelang zu Unrecht in der Psychiatrie. −Foto: Kneffel, dpa

2747 Tage lang saß Gustl Mollath zu Unrecht in der Psychiatrie. Nun wird sein Fall in einem neuen Buch dokumentiert.

Gustl Mollath will weg aus Deutschland. "Auf dieses Land ist überhaupt kein Verlass", sagt der 64-Jährige. Und diese Einschätzung kommt nicht von ungefähr. 2747 Tage lang saß er zu Unrecht in der Psychiatrie – als psychisch krank und gemeingefährlich vom Gericht dorthin geschickt, nachdem seine Ehefrau ihn beschuldigt hatte, sie attackiert zu haben.

Seiner Geschichte über Schwarzgeldgeschäfte seiner Frau, die als Bankerin arbeitete, glaubte niemand. Sie wurde stattdessen als Beleg angefügt für seine Verwirrtheit und Paranoia. Jahre später wurde dann klar: Mollath hat die Wahrheit gesagt. Sein Fall wurde wieder aufgerollt, er kam raus aus der Psychiatrie, Behörden und Politiker – allen voran die damalige bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) – gerieten stark unter Druck. "Es war kein Justizirrtum, es war ein Staatsverbrechen", sagt Mollaths Unterstützer Wilhelm Schlötterer. Er hat den Fall in seinem neuen Buch detailliert dokumentiert. "Es wird anderen Leuten auch übel mitgespielt hier in Bayern, aber der Fall Mollath war ein Exzess. Man wollte ihn mundtot machen."



Der frühere Beamte Schlötterer ist seit Jahrzehnten Gegenspieler mächtiger CSU-Politiker. Als Finanzbeamter machte er sich Anfang 1993 bei der Aufklärung der sogenannten Amigo-Affäre einen Namen, die zum Sturz des damaligen Ministerpräsidenten Max Streibl (CSU) führte.

"Staatsanwaltschaft fest in politischer Hand"

Auch heute noch sieht er in der CSU-Spitze quasi den Ursprung allen Übels – besonders im Fall Mollath. Die Partei sei einfach schon zu lange und zu unkontrolliert an der Macht im Freistaat. "Die CSU ist seit Jahrzehnten hier an der Macht und die Justizinstitution völlig abhängig", sagt Schlötterer. "Nach meiner Einschätzung konnte sich der Fall Mollath nur in Bayern zeigen und in keinem anderen Bundesland. Hier ist die Staatsanwaltschaft fest in politischer Hand. Das schafft eine Neigung der Justizorgane, sich nur nach dem Winde zu richten." Er geht davon aus, dass die Schwarzgeldgeschäfte vertuscht werden sollten, weil der Freistaat Bayern an der Bank beteiligt war.

Auch wenn der Fall Mollath ein Schlaglicht auf Missstände im Maßregelvollzug in Bayern geworfen habe – geändert hat sich seither aus Sicht von Schlötterer und Mollath viel zu wenig. "Das ist wie mit einem wilden Hund: Dem schmeißt man kurz einen Knochen hin, damit er ruhig ist, und kümmert sich dann nicht weiter um ihn. Eine tatsächliche Verbesserung sehe ich nicht." Die frühere Justizministerin Merk hat nach Angaben ihres Büros derzeit "kein Interesse", über den Fall zu reden.

Das inzwischen von Georg Eisenreich (CSU) geführte bayerische Justizministerium sieht die Sache anders als Mollath und Schlötterer: "Die bayerische Justiz hat sich mit der damaligen Kritik intensiv auseinandergesetzt", teilt ein Sprecher mit und verweist darauf, dass der Freistaat "wesentlich daran mitgewirkt" habe, "strukturelle Defizite der bundesgesetzlichen Regelung zur Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern" aufzuarbeiten.

Strafprozessordnung inzwischen geändert

Inzwischen sehe die Strafprozessordnung vor, dass untergebrachte Menschen regelmäßig von externen Sachverständigen begutachtet werden, an deren Qualifikation nun "erhöhte Anforderungen" gestellt würden.

Ende 2019 befanden sich nach Angaben des bayerischen Sozialministeriums 2884 Menschen im Freistaat im Maßregelvollzug. Im Jahr davor waren es 2772, Ende 2017 waren es 2489. Wer wegen einer psychischen Erkrankung untergebracht wurde, verbrachte 2019 im Schnitt 5,42 Jahre in der Psychiatrie, Suchtkranke blieben dort durchschnittlich 1,42 Jahre. Damit ist die durchschnittliche Unterbringungsdauer etwas gesunken. Im Jahr 2017 waren es noch 5,98 Jahre bei psychisch Kranken und 1,53 Jahre bei Suchtkranken. Wie viele Menschen wegen eines falschen Urteils eine Entschädigung bekommen, wird nach Angaben des Justizministeriums nicht statistisch erfasst.

Mollath, der mehr als sieben Jahre in der Psychiatrie saß, hat nach einer juristischen Auseinandersetzung vor dem Landgericht München I rund 670.000 Euro Entschädigung vom Freistaat bekommen, gefordert hatte er ursprünglich 1,8 Millionen. 2021 darf er das erste Mal wieder zur Bundestagswahl gehen. "Ich werde dieses Mal erstmals wieder wählen können dürfen und muss damit rechnen, dass Söder der nächste Kanzler ist. Das beschleunigt meinen Wunsch, das Land zu verlassen."

− dpa