Millionen Frauen betroffen
Endometriose-Patientin (22) erzählt: Ich habe Schmerzen – auch ohne meine Tage

24.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:27 Uhr

Jeder weiß es besser und keiner meint es böse – „doch ich kann die ganzen Tipps und Ratschläge nicht mehr hören“, sagt PNP-Autorin Fernanda Gesellensetter über gut gemeinte Tipps zur Krankheit Endometriose. Ein Großteil ihres Lebens dreht sich darum, und die Diagnose kann nur mithilfe einer Operation gestellt werden – für viele oft abschreckend. „Genau deswegen muss mehr Aufklärung stattfinden.“ −Foto: Fernanda Gesellensetter

Von Fernanda Gesellensetter

„Stell dich nicht so an, jeder hat mal Bauchschmerzen.“ „Wieso bleibst du schon wieder im Bett?“ „Da kann man leider nichts machen, finde dich damit ab.“ Ich bin 22 Jahre alt. Ich habe Endometriose und ich finde mich mit gar nichts ab.



Mehr als zwei Millionen Frauen in Deutschland sind betroffen, ich bin eine davon. Ich bin eine von vielen. Ich will, dass sich endlich etwas ändert, in der Kommunikation, in der Aufklärung und in der Medizin. Ich möchte, dass wir Frauen ernst genommen werden und dass Betroffene wissen, dass sie nicht allein sind. Ich möchte meine Geschichte teilen, nicht um bemitleidet zu werden, sondern um Aufmerksamkeit für eine Krankheit zu schaffen, an der so viele leiden und die so wenig Zuwendung bekommt.

Meine Periode kam vergleichsweise spät. Als ich vierzehn war, zeigte sie sich das erste Mal. Danach wieder Monate nicht. Meine damalige Frauenärztin verschrieb mir direkt die Pille, um einen geregelten Zyklus zu kreieren. Alle vier Wochen soll die Periode pünktlich sein, auf den Tag, auf die Stunde. Sie soll so unauffällig wie möglich kommen und am besten schnell wieder gehen. Tampon rein. Ein paar Tage warten - und fertig. Am besten so, dass keiner mitbekommt, dass sie überhaupt da war. „Natürlich“ ist daran gar nichts. Wir gaukeln unserem Körper vor, dass er schwanger sei, und dann sagen wir – ach ne doch nicht, ausgetrickst – und das jeden Monat. Ich würde mir an der Stelle meines Unterleibs auch verarscht vorkommen. Jeder Zyklus ist so individuell wie jede einzelne Frau. Durch Pharmakonzerne wird unserer Gebärmutter vorgeschrieben, so zu funktionieren, wie es am besten in unsere Arbeitsgesellschaft passt.

Meine Frauenärztin meinte, das sei normal

Als meine Tage durch die Pille dann endlich regelmäßig kamen, hatte ich unglaubliche Schmerzen. Jeden Monat, wenn ich meine Periode bekam, – oft auch häufiger. Meine Frauenärztin meinte, es sei normal. Was ich zwischen meiner Periode spüre, sei mein Eisprung, das könne auch mal ein bisschen zwicken. Mein „Eisprung“ sorgte neben meiner Periode dafür, dass ich das Bett oft nicht mehr verlassen konnte, auch ohne meine Tage zu haben. In der Schule wurde mir mit einer Attestpflicht gedroht und ich hörte von allen Seiten: „Stell dich nicht so an, als ob du während deiner Periode nicht in die Schule gehen kannst. – Jeder hat mal Bauchschmerzen.“ Mein Kreislauf sagte was anderes, meine Eisenwerte auch. Ich habe so viel geblutet, dass ich ständig umgekippt bin. Die Ärzt*innen sagten mir, ich müsse mehr essen, mit etwas mehr auf den Rippen würde alles weniger wehtun und mein Kreislauf wäre stabiler. Für die Schmerzen einfach IBU, dann wäre alles geregelt. Kein Schmerzmittel konnte mir helfen, und wenn die Schmerzen stark waren, sorgte ein voller Magen nur für noch mehr Druck auf meinen Unterleib und schlimmeren Symptomen. Ich suchte verschiedenste Frauenärzt*innen auf, wechselte ständig die Pille, und jeder versprach mir, die neue Methode sei die Beste. Ich probierte den Nuvaring aus, mit dem alle Probleme gelöst werden sollten. Resultat waren, Gewichtsschwankungen, Hormonchaos, Depressionen – und vor allem noch mehr Schmerzen.

Als ich 17 war und wieder häufig umkippte, reichte es meiner Mutter und sie machte mir einen Termin in einer Frauenklinik aus, die auf Endometriose spezialisiert war. Ich wusste nicht, was das sein sollte diese „Endometriose“, keiner meiner Ärzt*innen hat den Namen zuvor auch nur in den Mund genommen in meiner Gegenwart. Ich nahm den Termin wahr und hatte meine erste OP. Als ich aufwachte und der Arzt mir sagte, ich habe Endometriose, wusste ich nicht, ob ich erleichtert sein sollte, dass die OP nicht „umsonst“ gewesen war oder ob ich Angst davor haben sollte, wie es weitergehen würde. Ich hatte keine Ahnung, dass ich in den nächsten Jahren eine Ärzt*in nach der anderen aufsuchen würde.

„Hast du deine Tage – oder warum bist du so launisch?“

Ich weiß nicht, wie unzählig viele alternative Therapie-Methoden ich aus Verzweiflung ausprobiert habe, alles war unterstützend, doch wirklich geholfen hat nichts. Die neue Methode nach der OP war, dass mein Zyklus einfach komplett unterdrückt wurde und ich die Pille durchgenommen habe. Kein Zyklus, kein Aufbau der Gebärmutterschleimhaut, kein Wachstum der Endometriose, – so die Theorie. Was dadurch mit meiner Psyche passierte, kann man sich wohl vorstellen, wenn der Körper unter Dauer-Zufuhr von Hormonen steht.

„Hast du deine Tage – oder warum bist du so launisch?“ „Lass doch mal die Pille weg, vielleicht brauchst du mal eine Pause.“ Jeder weiß es besser und keiner meint es böse – doch ich kann die ganzen Tipps und Ratschläge nicht mehr hören. Ein Großteil meines Lebens dreht sich um meine Krankheit. Ich habe die Pille nicht genommen, weil ich es entspannt fand, meine Tage nicht zu kriegen. Ich habe sie genommen, um nicht nächste Woche meine nächste OP zu haben. Ich bin nicht launisch, weil ich meine Tage habe - ich bin launisch, weil ich Schmerzen habe, Tag für Tag. Mal mehr, mal weniger - weg sind sie eigentlich nie. Zwei Jahre hat die Methode funktioniert, die Pille durchzunehmen, dann haben Zwischenblutungen angefangen und die Schmerzen wurden wieder schlimmer. „Setz die Pille doch mal ab“, sagte meine damalige Ärztin, in der kurzen Zeit passiert schon nichts. Aus Verzweiflung hörte ich auf sie. Das führte zu meiner zweiten OP, denn in der Zeit, in der ich die Pille absetzte, wuchs eine Zyste in mir, die innerhalb von einer Woche so groß wurde, dass es hätte lebensgefährlich werden können, wenn sie geplatzt wäre. Sie wurde entfernt, genauso wie die neuen Endometriose-Herde, die trotz der ständigen Einnahme der Pille weitergewachsen waren.

Pillenwechsel, Arztwechsel, Antidepressiva – ein Teufelskreis

Die Schmerzen hörten danach nicht auf, ich nahm die Pille weiter und sucht neue Ärzt*innen auf. Ich sollte künstlich in die Wechseljahre versetzt werden, denn um meine Zysten loszuwerden, die dauernd nachkamen, hätte ich Östrogene nehmen müssen, die wiederum hätten das Wachstum meiner Endometriose gefördert – da soll mal jemand durchblicken. Mein Körper hat mir allerdings gezeigt, dass er nicht bereit dafür war. Ich war psychisch so instabil, dass ich mir einen solchen Eingriff nicht zugetraut habe. Ich wollte meinem damals 20-jährigen Körper nicht vorgaukeln, ich sei Anfang 60, um dann in zehn Jahren zu sagen, so mit 30, also eigentlich 70, sollst du jetzt bereit sein für ein Kind. Ich bin sehr froh, es nicht gemacht zu haben.

Pillenwechsel, Arztwechsel, Antidepressiva, es war ein Teufelskreislauf. Ich lernte, die Schmerzen in meinen Alltag einzubauen. Tauschte mich mit anderen Betroffenen aus und versuchte damit zurechtzukommen. Stress-Vermeidung wurde mir von allen empfohlen. „Lass Zucker weg, lass Gluten weg, am schlimmsten ist Laktose.“ „Hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, dass du keine Kinder kriegen kannst?“ Die Kommentare, mit denen man konfrontiert wird, sind unzählig.

Meine Ernährung habe ich schon vor vielen Jahren komplett angepasst, eine Wunderheilung ist es nicht, helfen tut es ein wenig. Und ja, ich denke oft darüber nach, ob ich keine Kinder bekommen kann. Viele unerfüllte Kinderwünsche liegen an einer häufig unerkannten Endometriose, doch nicht alle. Und wieso sollte ich jetzt schon die Hoffnung aufgeben, bevor ich es überhaupt versucht habe. Ich habe Endometriose und ich will Kinder – keiner braucht mir sagen, dass das nicht möglich sei. Operationen sollen hierbei um jeden Preis vermieden werden, denn jeder Eingriff ist eine Schädigung der Fruchtbarkeit. Ich habe inzwischen die Hormonspirale und versuche mich damit zu arrangieren. Schmerzen habe ich immer noch, aber ich gehe anders damit um. Es gibt keine Lösung, jeder Körper ist individuell, und jede Endometriose braucht eine andere Behandlung oder besser gesagt Pflege, denn sie gehört zu uns, wir müssen mit ihr leben, jeden Tag.

Ich habe oft Gliederschmerzen, Rückenschmerzen und Migräne, vieles davon kann von einer Endometriose getriggert werden, ob alle meine Beschwerden daherkommen, weiß ich nicht. Wenn man jedoch chronische Schmerzen hat, glaube ich, dass der Körper sehr viel empfindlicher auf alles andere reagiert. Mein „Endo-Belly“ gehört auch oft dazu, meine Freundinnen scherzen jedes Mal, ich solle einen Schwangerschaftstest machen, wenn ich ihnen ein Bild von meinem Blähbauch schicke.

Ich hoffe, irgendwann auf sie hören zu können und ihr das zu geben, was sie braucht

Ich weiß genau, wo mein linker Eierstock ist, und glaube auch zu wissen, wie groß er ist, denn ich spüre ihn jeden Tag. Ich habe auch das Gefühl, dass ich meine Endometriose dabei erwische, wie sie kämpft und wie sie arbeitet, ich weiß nicht gegen was sie ankämpft, aber ich hoffe, irgendwann auf sie hören zu können und ihr das zu geben, was sie braucht, damit wir zusammenleben können, ohne im ständigen Konflikt miteinander zu sein.

Es gibt nicht „die“ Heilmethode gegen Endometriose, jeder Betroffene muss seinen individuellen Umgang damit finden.

Therapie- und Behandlungsmethoden müssen weiterentwickelt werden. Etwa 10 Prozent aller Frauen leiden an dieser chronischen, gutartigen Krankheit. Sie bekommt immer mehr mediale Präsenz. „Das ist kein Frauenproblem, sondern ein gesellschaftliches Problem“ – mit diesen Worten wendete sich der französische Präsident Emmanuel Macron an sein Volk und will mit einem nationalen Plan für eine bessere Behandlung und Erforschung von Endometriose sorgen. Auf die Worte und die Aufmerksamkeit müssen nun Taten folgen, denn wir Betroffenen sind diejenigen, die am Ende damit leben müssen.

Ich will kein Mitleid, ich will ernst genommen werden

Ich will kein Mitleid, ich will ernst genommen werden. Ich will mich nicht rechtfertigen müssen, warum ich im Bett bleibe und warum mein Bauch aussieht, als wäre ich schwanger. Ich will mich nicht rechtfertigen, warum ich leicht reizbar bin, und ich will mich nicht rechtfertigen müssen, warum mir manche Sachen mehr weh tun als anderen. Ich will nicht schweigen müssen, weil es viele immer noch unangebracht finden, über intime Dinge zu sprechen, oder es eklig finden, sich eine Gebärmutter vorzustellen, deren Gewebe sich ausbreitet. Daran ist nichts eklig, es ist einfach nur schmerzhaft. Der Körper einer Frau ist faszinierend, großartig und komplex. Hinter dieser Großartigkeit kann aber auch viel Schmerz stecken. Darüber muss geredet werden, offen und ehrlich.
Ich will, dass alle Frauen ernst genommen werden und niemand klein geredet wird. Ich bin oft auf Ignoranz, Unwissenheit und ärztliches Versagen gestoßen. Gerade weil es für Äzt*innen oft schwer ist, die richtige Therapie-Methode zu finden, muss für mehr Bewusstsein und fachliche Kompetenz gesorgt werden. Meines Erachtens fehlt es an Weiterbildung und Akzeptanz der Krankheit. Die Diagnose kann nur mithilfe einer Operation gestellt werden, für viele ist dies oft abschreckend, und genau deswegen muss mehr Aufklärung stattfinden. Ich habe unzählige Male gehört, dass es normal sei, Schmerzen bei der Periode zu haben. Doch wenn derartige Intensitätsgrade vorliegen, müssen Ärzt*innen aufmerksam werden.

Ich weiß nicht, ob die Frauen früher weniger Endometriose hatten oder ob es einfach weniger erforscht war. Ich weiß nicht, welche Faktoren dafür sorgen, dass sich Endometriose bei mehr Frauen ausbreitet. Ich habe keine Antwort auf all diese Fragen, aber ich will allen Betroffenen da draußen Mut machen. Ihr seid nicht allein.

INFO: Was ist Endometriose?

Bei einer Endometriose handelt es sich um eine chronische, gutartige Krankheit, bei der Gebärmuttergewebe außerhalb der Gebärmutter wächst. Diese Herde sorgen für starke Unterleibsschmerzen und können bei vielen Frauen zu einer Unfruchtbarkeit führen. Endometriose kann sich in einem fortgeschrittenen Stadium im gesamten Bauchraum ausbreiten, an der Harnröhre absetzten und darüber hinaus zu Blutungen des Darms führen. Zudem führt eine Endometriose zu vermehrtem Blutverlust bei der Periode, Schmerzen beim Wasserlassen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Übelkeit, Erbrechen und in vielen Fällen zu einem Reiz-Darm. Häufige Begleiterscheinungen der Erkrankung sind Gliederschmerzen, Migräne, Rückenschmerzen, depressive Zustände, Verstimmung und Müdigkeit.

Das Problem bei der Krankheit ist, dass sie in vielen Fällen nicht erkannt wird. Dadurch, dass Regelschmerzen als „normal“ angesehen werden, wird die Diagnose oft spät oder gar nicht gestellt, wodurch sich Endometriose-Herde weiter ausbreiten. Eine genaue Diagnose kann lediglich durch eine Operation gestellt werden, da zwar potenzielle Zysten, die auf eine Endometriose hindeuten, im Ultraschall teilweise zu sehe sind, jedoch keine 100-prozentige Sicherheit erreicht werden kann. Durch eine Laparoskopie, also eine Bauchspiegelung, können Endometriose-Herde entdeckt und entfernt werden.

Eine genau Herkunft der Krankheit ist nicht bekannt und es gibt keine einheitliche Behandlungsmethode. Bei Verdacht sollte man Spezialist*innen Aufsuchen zum Beispiel Frauenkliniken, die auf Endometriose spezialisiert sind oder Endometriose-Zentren, da viele Ärzt*innen in diesem Bereich nicht über eine ausreichende Expertise verfügen. Besteht kein Kinderwunsch, wird gegebenenfalls auch die Gebärmutter entfernt. Für Betroffene kann es hilfreich sein, Selbsthilfe Gruppen zu besuchen.