PNP-Spendenaktion
Einsame Herzen: Schwestern leben seit fünf Jahren im Kinderzentrum

28.12.2021 | Stand 12.10.2023, 10:16 Uhr

Sie sehnen sich nach einer Familie: Die Schwestern Aisha (13) und Zeituni (7) leben seit Jahren im Kinderzentrum von Garissa. Die Polizei brachte die Mädchen in die Einrichtung, weil ihre Mutter mit ihnen auf der Straße vom Betteln lebte. −Foto: Fischl

Eigentlich sollten die Schwestern Aisha (13) und Zeituni (7) nur ein paar Monate im Kinderzentrum von Garissa bleiben. Doch daraus wurden Jahre. Ihre Mutter schafft es nicht, sich gut um die Kinder zu kümmern - und die unsicheren Zeiten machen die Lage nicht besser.

Mehr zur PNP-Spendenaktion lesen Sie auch auf unserer Sonderseite.

Während Aisha spricht, malt sie immer wieder Kreise in den Sand. Manchmal Buchstaben, manchmal Zahlen. Ihr Blick ist gesenkt, und sie erzählt so leise, dass selbst ihr Betreuer immer wieder sanft nachfragen muss, was sie gerade sagen wollte. Ihren Namen haben wir, ebenso wie den ihrer kleinen Schwester, aus Kinderschutzgründen geändert. Die 13-Jährige und ihre sieben Jahre alte Schwester leben schon seit fünf Jahren im "Children Rescue Center" in Garissa im Osten Kenias, einer von Unicef unterstützten Einrichtung für Waisen, Findelkinder und Mädchen und Jungen, die aus verschiedenen Gründen von ihren Eltern getrennt werden mussten.

Aisha und Zeituni gehören zu Letzteren. Ihre Mutter lebt noch. Doch sie ist nicht in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern. Das macht die Situation so fatal für die beiden Mädchen. Denn normalerweise bleiben Kinder im Rescue Center nur ein paar Monate, bis sie an Pflegefamilien vermittelt werden können. Doch die Mädchen dürfen nach kenianischem Gesetz nicht adoptiert werden, solange die Mutter nicht zustimmt.

Mutter kommt sie jeden zweiten Sonntag besuchen

Aisha und Zeituni kennen ihre Mutter. Sie kommt sie jeden zweiten Sonntag besuchen, erzählt Heim-Mitarbeiter Salim Ibrahim. "Die Kinder haben eine enge Verbindung zu ihr, doch wir können sie ihr nicht mitgeben", erklärt er. Die Mutter habe große psychische Probleme und lebe die meiste Zeit auf der Straße. Die Polizei habe Aisha und Zeituni damals immer wieder beim Betteln erwischt und schließlich ins Heim gebracht. "Die Kleine war erst zwei Jahre alt und hat sich schnell erholt", erinnert sich Salim Ibrahim. Doch bei Aisha dauerte es länger, bis sie sich eingelebt hatte. "Aisha war erst mit elf Jahren überhaupt schulfähig", erklärt ihr Erzieher. "Über ihre Erinnerungen an früher spricht sie nicht gerne."

"Das Leben hier und die Schule mag ich"

Aisha ist die Älteste im Kinderheim. Sie hilft gerne den Jüngeren bei ihren alltäglichen Aufgaben und Pflichten, fühlt sich vor allem für ihre kleine Schwester verantwortlich. "Ich mache Zeitunis Bett und wasche ihre Wäsche. Das Leben hier und die Schule mag ich", sagt Aisha leise und malt mit ihrem Finger wieder einen Kreis in den Sand. "Ich kann jetzt alleine lesen und schreiben und brauche dazu keine Hilfe mehr", sagt die 13-Jährige. Das mache sie stolz.

Lesen und schreiben kann ihre kleine Schwester auch schon. "Ich möchte später mal Lehrerin werden", sagt Zeituni. Die Kleine ist viel selbstbewusster und aufgeweckter als ihre große Schwester. "Am liebsten singe ich mit den anderen Kindern oder spiele Verstecken", erzählt sie. Ihr Lieblingsversteck? "Hinter den Türen – da schaut immer keiner nach", verrät die Siebenjährige lachend.

"Früher hatten wir oft Hunger"

Aisha lächelt während unseres Gesprächs kaum. Ihr ist das Leben auf der Straße noch präsenter. "Meine Mutter spricht oft mit sich selber und fängt ohne Grund an zu weinen. Hier im Heim essen wir dreimal am Tag. Früher hatten wir oft Hunger, mussten lange laufen und betteln und schliefen dann irgendwo hungrig ein. Das war nicht schön", erzählt sie. "Und wenn wir krank waren, hatte sie kein Geld, uns zu einem Arzt zu bringen." Dennoch vermisse sie ihre Mutter. "Wenn sie uns besuchen kommt, sprechen wir auch über ihr Leben draußen. Sie sagt, dass es nicht einfach ist und dass sie froh ist, dass wir hier sind und lernen", sagt Aisha. "Meine Mutter kann nicht lesen und schreiben. Jetzt lese ich ihr manchmal Geschichten vor. Wenn Mama uns besucht, ist ein guter Tag."

Heim-Mitarbeiter Salim Ibrahim weiß, dass diese Lösung nicht von Dauer ist. Die Kinder könnten nicht noch weitere fünf Jahre in der Einrichtung bleiben. Seit Langem überlege man, wie man den Mädchen helfen könne. Und nun zeichne sich vielleicht eine Lösung ab. Denn zusammen mit den zuständigen Behörden habe das Heim eine ältere Schwester der beiden in Mombasa im Süden Kenias ausfindig gemacht. Die junge Frau werde demnächst volljährig und könnte als Familienoberhaupt die beiden jüngeren Schwestern und vielleicht sogar auch die Mutter aufnehmen.

Mit professioneller Hilfe in ein neues Leben starten

"Das geht natürlich nur mit professioneller Unterstützung. Die Familie benötigt psychologische Hilfe und müsste an einem Berufsbildungsprogramm teilnehmen. Sie brauchen ja auch ein Einkommen, von dem sie leben können", sagt Salim Ibrahim. Er hofft, dass die Mädchen bis dahin besser ausgebildet und so stabil seien, dass sie in ein neues Leben starten können. Doch die Dürre und die Folgen der Corona-Pandemie erschwerten zurzeit jede Planung.

Die Sehnsucht nach Familie ist groß bei den Schwestern. Von der geplanten Lösung haben sie schon gehört und sprechen auch mit ihrer Mutter darüber. "Das wäre schön, wenn wir wieder zusammenleben könnten", sagt Aisha und malt einen weiteren Kreis in den Sand. "Mein einziger Wunsch ist, dass unsere Mama ein besseres Leben hat." Die kleine Zeituni nickt. "Ich wünsche mir auch nur meine Mama zurück."