Justizministerin in Landshut
Ehrenamtliche fordern mehr Diskretion für Vergewaltigungsopfer

01.08.2021 | Stand 01.08.2021, 21:19 Uhr

Nicht nur harte, politische Kost, auch einen Schnellkurs im Schafkopfen gab es für MdB Rita Hagl-Kehl (stehend, von links), MdL Ruth Müller und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht beim Besuch des AWO-Mehrgenerationenhauses in Landshut. −Foto: Huber

Von Korbinian Huber

Das Mehrgenerationenhaus der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Landshut will einen Platz für alle schaffen – unabhängig von Alter, Herkunft, Religion.

Von der Umsetzung dieses ambitionierten Ziels wollte sich Bundesfamilien- und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) am Montag persönlich überzeugen. Neben einer Führung durch das Haus hielten Georg Thurner, Vorsitzender des Kreisvorstands der AWO, und Stefanie Martin, AWO-Geschäftsleiterin, eines für sie bereit: eine konkrete Forderung. Das Thema ist heikel. Es geht um den Spagat zwischen Aufklärung und Opferschutz bei einer Vergewaltigung.

Zuvor war Polit-Prominenz schon in Straubing

Es ist schon abends, als zwei große Limousinen vor dem Mehrgenerationenhaus in der Ludmillastraße in Landshut halten. Justizministerin Christine Lambrecht wird von ihren SPD-Kolleginnen, der Landtagsabgeordneten Ruth Müller sowie Rita Hagl-Kehl, Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin im Justizministerium, begleitet. Zuvor hatte die Polit-Prominenz das Polizeipräsidium Niederbayern in Straubing besucht.

Die drei Politikerinnen werden schon erwartet. Zweiter Bürgermeister Thomas Haslinger (CSU), Georg Thurner, Stefanie Martin und einige Ehrenamtliche stehen bereit. Unter ihnen vier Scheidungsanwältinnen, die kostenlose Beratungen anbieten. Auf ihre Geschichten ist sie besonders gespannt, verrät die Anwältin Christine Lambrecht.

Vor dem Eingang sitzt eine Schafkopfrunde aus vier Senioren – drei Männer und eine Dame. Geschäftsleiterin Martin kennt die Gruppe bereits. „Eigentlich wird am Donnerstag hier immer Schafkopf gespielt“, sagt sie. Dann seien es mehr Leute. Doch für den Besuch einer Ministerin holt ein Kartler-Quartett auch an einem Montag die Karten hervor. Lambrecht wirkt interessiert, ist aber mit dem Vokabular überfordert. Von der „Blauen“, der „Oidn“ und dem „Wenz“ hat sie noch nie gehört. Da helfen auch die Erklärungsversuche der Spieler nichts.

Nach warmen Begrüßungsworten, bei denen Kreisvorstand Thurner der Ministerin ein für Landshut typisches Buxkränzchen überreicht, beginnt die Führung. Die Delegation versammelt sich im hauseigenen Gebrauchtwarenhandel. „Die Kundinnen nennen ihn Boutique“, erklärt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin.

Beeindruckt von „vielfältigem Angebot“

Die Ministerin zeigt sich beeindruckt von dem „vielfältigen Angebot und dem tollen Engagement“ der Landshuter AWO. Neben dem Laden enthält das Haus einen Kindergarten, allerlei Kurse, vom Handwerk bis zur Computerbedienung, Beratungsstellen und die Verwaltung für die etwa 250 AWO-Mitarbeiter in Landshut.

Die Corona-Pandemie hätte der Einrichtung in Landshut enorm zugesetzt, berichtet Stefanie Martin. Schließlich sei das Konzept auf Präsenz ausgerichtet. „Normal ist hier alles offen“, erklärt sie. Nur das sei mit dem Infektionsschutzgesetz schwer vereinbar. Nun müsse alles wieder anlaufen. Freiwillige und Ehrenamtliche würden immer gebraucht, sagt sie mit einem Augenzwinkern.

530 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland

Etwa 530 solcher Mehrgenerationenhäuser gibt es in Deutschland. Gefördert werden sie unter anderem vom Bundesfamilienministerium. Die Einrichtungen sollen ein Ort der Begegnung sein. Das Bundesprogramm räumt den Häusern dabei große Autonomie ein, um die Herausforderungen in der Kommune entsprechend anzupacken.

Dann geht es für die Ministerinnendelegation zur Gesprächsrunde im Saal des Mehrgenerationenhauses. Die Haupt- und Ehrenamtlichen berichten über ihre Erfahrungen und Sorgen. Lambrecht, Müller und Hagl-Kehl hören aufmerksam zu, fragen nach. Es geht um häusliche Gewalt, geschützte Räume, Vergewaltigung. Wie kann man Frauen schützen – nicht nur vor der Tat, sondern auch vor den Mühlen der Justiz und der Strafverfolgung, die die Opfer oft schwer belasten?

Thurner, Martin und die ehrenamtlichen Anwältinnen nennen Beispiele und berichten von ihren Begegnungen mit betroffenen Frauen. Ihre Forderung an die Ministerin: Mehr Diskretion beim Umgang mit den Opfern und deren Beratern. Lambrecht kann nichts versprechen. Es sei eine schwierige Thematik.

Ministerin will Umgang mit Missbrauchsopfern prüfen

Einerseits müssten Vergewaltigungen aufgeklärt und die Täter verfolgt werden. Andererseits sehe sie auch, dass die Ermittlungen die Opfer belasten können. Eine entsprechende Regelung müsse sehr konkret und auf den Fall bezogen formuliert werden, überlegt die Ministerin. Eine schnelle Lösung hat sie nicht parat. Doch: „Ich nehme das Thema mit“, versichert sie den AWO-Vertretern.

Nach knapp eineinhalb Stunden ist der Besuch vorbei. Schließlich muss Lambrecht noch über vier Stunden in ihre Heimat nach Hessen. Morgen stehe dort schon der nächste Termin auf dem Plan, sagt sie. Und obwohl ihr Kofferraum nicht voller ist als zuvor, hat die Justiz- und Familienministerin nun einiges im Gepäck.