Marvel & Game of Thrones bedienten sich
Die Walküre erwacht: 16. April Premiere am Landestheater

06.04.2022 | Stand 21.09.2023, 4:33 Uhr

Am Landestheater Niederbayern hat nach zwei Jahren Pause "Die Walküre" Premiere. Stephan Bootz ist wie im Rheingold 2019 erneut als Wotan zu hören, Yamina Maamar singt die Brünnhilde. Als Projektion ist Heeyun Choi als Erinnerung an Fasolt zu sehen. −Foto: Peter Litvai

Eine größere Aufgabe kann sich ein Theater kaum stellen: Vor drei Jahren hat das Landestheater Niederbayern Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" begonnen mit "Das Rheingold", der ersten von vier Opern dieses monumentalen Zyklus. Der zweite Teil "Die Walküre" stand bereit zur Aufführung, als 2020 die Kultureinrichtungen geschlossen wurden. Darin soll die kriegerische Gottestochter Brünnhilde den Inzest zwischen Siegmund und Sieglinde strafen, doch sie hat Mitleid und wird von Wotan dafür in einen Feuerring gelegt, aus dem sie Siegfried im vierten Teil weckt. Nach zwei Jahren hat Intendant und Regisseur Stefan Tilch auch seine Inszenierung wieder zum Leben erweckt, am 16. April ist Premiere im Landshuter Theaterzelt.



Herr Tilch, "Die Walküre" war fertig geprobt, als die Theater 2020 schließen mussten. Wie schwierig ist es, Jahre später eine Inszenierung aufzuwecken?
Stefan Tilch: Es war aufregend. Wie haben die Stücke quasi in Alufolie gewickelt und in den Kühlschrank gelegt, die Frage ist: Wie schmeckt das, wenn man’s wieder auswickelt? Theater ist ein flüchtiges Medium und nicht so konservierbar. Ich bin seit der ersten Minute der Proben extrem erleichtert über den Vorbereitungsstand unseres gesamten Ensembles. Jedes Detail sitzt, jeder Gedanke steht, wir scheinen sehr gründlich gearbeitet zu haben damals vor zwei Jahren.

Ist der Regisseur Stefan Tilch noch zufrieden mit all seinen Ideen?
Tilch: Irgendwann sagte Videomeister Florian Rödl: Walküre machen wir jetzt alles neu, oder? Wir haben für die Walküren so ein Internetthema mit Flüchtlingen – es ist die Frage, ob das noch aktuell ist. Auf verrückte, traurige Weise können wir das Wort "Flüchtling" jetzt wieder neu einordnen. Wir haben also nur minimal adaptiert. Dadurch, dass wir jetzt wissen, wo wir im Siegfried hinwollen, kommen die zwei Jahre Wartezeit der Sache sogar zugute.

Hier gelangen sie zur Kritik von "Das Rheingold" von 2019

Stehen denn die damals geplanten Solisten noch zur Verfügung?
Tilch: Unsere Fricka konnte nicht mehr, da haben wir gewechselt, aber das ist nur eine Szene. Alle anderen sind da, wobei einer letzte Woche erkrankt ist. Da hoffe ich sehr, dass er rechtzeitig wieder einsatzfähig ist.

Wir erinnern uns: Zwerg Alberich hat das Rheingold gestohlen, Gottesvater Wotan hat es ihm geraubt und damit die Riesen bezahlt, die ihm die Götterburg Walhall gebaut haben. Am Ende Ihrer Inszenierung verschanzen sich die Götter paranoid hinter Stacheldraht. Wie erzählen Sie die Geschichte weiter?
Tilch: Genau da erzähle ich weiter. In meiner Vorstellung ist das der Schlüssel für das ganze Schlamassel in diesem "Ring". Davor gibt es zwei Sündenfälle, die noch vor "Rheingold" passiert sind: Erstens, dass Wotan die Weltesche zerstört hat, um sich einen Speer zu schnitzen. Zweitens, dass er diese Burg in Auftrag gibt, die er nicht bezahlen kann. Das schlamassel, das jetzt folgt, basiert zu 100 Prozent auf Wotans unfassbarer Paranoia – auf der Angst, dass sich ein nächtliches Heer um Alberich formiert und die gesamte Götterwelt vernichtet. Darum ist das Schlussbild von "Rheingold" zugleich das Mutterbild für "Die "Walküre". Wotan hat nun sein eigenes Heer aufgestellt. Aber wie wir wissen, ist diese Angst unbegründet: Das Einzige, was Alberich macht, ist, einen Sohn zeugen und vor der Neidhöhle sitzen und warten, ob er je wieder an sein Gold kommt.

Sie hatten vor zwei Jahren etwas angedeutet von einer Bücherverbrennung in der "Walküre"?
Tilch: Ja, aber nicht in diesem Sinn. Wir hatten im "Rheingold" viele Bücher, die in der Presse gedeutet wurden als Urwissen der Welt und Sammlung aller Geschichten, wo auch der "Ring" herkommt. Da gehe ich soweit mit. Für mich war der Gedanke in erster Linie: Es sind Bücher voller Gesetze und Regeln, die Wotan und die Götter hinter sich herzerren, um gutzumachen, was seit dem Sündenfall der Zerstörung der Weltesche passiert ist. In der "Walküre" ist diese Bibliothek von Walhall noch zu sehen, aber um 90 Grad gekippt, weil diese Welt aus ihrem Lot gefallen ist. In der restlichen Welt, etwa in Hundings Hütte, dienen diese Bücher als Brennstoff. Damit meinen wir nicht ein Zerstören von Büchern im Sinne von "Das darf nicht gelesen werden", sondern wir erzählen damit, dass die Welt seit "Rheingold" zu einem sehr desolaten Kriegsschauplatz geworden ist.

Was ist so aus dem Lot geraten?
Tilch: Es heißt immer, die Walküren sammeln Leichen ein, wo Schlachten waren, dabei wird gerne übersehen: Wotan schmeißt seine eigenen Gebote über Bord und schickt seine Walküren los, damit sie Kriege erzeugen und die Menschen so lange aufhetzen, bis sie sich gegenseitig umbringen. So kommt Wotan an die toten Helden. Die Frage war: Wie kriege ich unbedarfte Bürger dazu, sich den Kopf einzuschlagen. Unsere Antwortet lautet: Ich geh’ ins Internet, hetze, so viel ich kann, verbreitete eine Geisteshaltung und stelle andere als die Bösen dar – und schon werden unbescholtene Bürger zu wütenden Bestien. Darum sind unsere Walküren alle mit Handys ausgestattet.

Wotan hat WLAN?
Tilch: Wotan braucht das nicht, er hat ein Pensieve wie in Harry Potter (das "Denkarium", in dem Erinnerungen gespeichert werden können; Anmerkung d. Red.).

Auf den Pressefotos sehen wir das Pensieve als eine riesige Kristallkugel mit Videoprojektion, eine Brünnhilde mit Männerhut – was für eine Welt ist das?
Tilch: Das ist die Grundfrage: Wie gestalte ich einen "Ring"? Wie gehe ich um mit den hundert Millionen Requisiten, Gedanken und Zaubern, die Wagner in das Stück geschrieben hat? Das kreative Team muss entscheiden: Wo zeige ich eine heutige Welt, wo ich als Zuschauer sofort andocken kann, und wo bleibe ich in einer Wagnerschen Zauberwelt, wo die Dinge die gleiche Bedeutung haben, aber anders hergespielt werden? Wir kombinieren beides.

Wie lässt sich heute an den Ring andocken?
Tilch: Ich hatte noch nie einen Stoff, der in der täglichen Popkultur so weit verbreitet ist: In den Thor-Filmen läuft Wotan im Kino herum, Loki hat gerade eine Serie, Herr der Ringe, Game of Thrones – überall wird rekurriert auf diese Urmythen des Menschseins. Und das nutzen wir.

Sie haben angekündigt, den Ring mit "Siegfried" und "Götterdämmerung" in der Spielzeit 2022/ 2023 zu vollenden – warum?
Tilch: Damit es zum Abschluss kommt. Es wird nach der vielen Coronakunst Zeit für Neues, drum habe ich mir sehr gewünscht, dass wir bis nächsten Sommer fertig werden.

Raimund Meisenberger

Premiere in Landshut am 16. April, in Passau nur zwei Vorstellungen in der Dreiländerhalle am 10. und 12. Juni, Info und Karten auf landestheater-niederbayern.de