Inszenierung von Roland Schwab
Beglückend: Der neue "Rosenkavalier" am Salzburger Landestheater

03.10.2022 | Stand 20.09.2023, 22:16 Uhr
Roland Dippel

Goldene Planeten kreisen auf der Bühne der Salzburger Felsenreitschule, mittendrin Sophie Harmsen als Marschallin und und Elizabeth Sutphen als ihr junger Geliebter Oktavian −Foto: Anna-Maria Löffelberger/Landestheater

Das Salzburger Landestheater brachte zum 75. Jubiläum der Salzburger Kulturvereinigung Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals "Der Rosenkavalier" in die Felsenreitschule. Bei Roland Schwab, der dort zuletzt Wagners "Lohengrin" zu einem packenden Erlebnis machte, kreisen Planeten zu den Walzerklängen in der preziösen, schönheitstrunkenen und anachronistischen Komödie für Musik – aber ganz anders als in Stanley Kubricks Filmklassiker "2001". Schwabs Inszenierung gerät zum erotischen Panoptikum auf Höhe eines Salzburger Welttheaters. Auch musikalisch war die luftig und sphärisch abhebende Premiere unter Musikdirektor Leslie Suganandarajah am Samstagabend beglückend.

Dabei ist die 1911 in Dresden uraufgeführte Oper im aktuellen Klima etwas kompliziert. Die geschlechtliche Ambivalenz der Titelpartie – eine Frau singt einen Mann, der sich als Frau verkleidet – wurde von Hugo von Hofmannsthals in ein für Frauen trotz erotischer Freizügigkeit nachteiliges Rokoko-Wien des mittleren 18. Jahrhunderts versetzt. Banalität und hohe Philosophie reichen sich in fast jedem Satz des Textbuchs die Hand. Die Musik veredelt mit Walzern und berückend schönen Klängen, die den "Rosenkavalier" zu einer der beliebtesten Opern des 20. Jahrhunderts werden ließen.

"Leicht muss man sein – Die nicht so sind, die straft das Leben und Gott erbarmt sich ihrer nicht", singt die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg zu ihrem wesentlich jüngeren Lover Octavian. In diesem Steine erweichenden Moment muss die Zeit einfach stillstehen. Trotzdem geht es wohl nur noch in Mozarts "Don Giovanni" so offensiv um die schönste Nebensache der Welt wie im "Rosenkavalier".

Bei Roland Schwab und Bühnenbildner Piero Vinciguerra bleibt die Liebe philosophisch korrekt eine kosmische Himmelsmacht. Zu den Klangfontänen der Hörner im Vorspiel rollen die Marschallin und Octavian ineinander verschlungen herein. Zwischen drei goldenen Riesenplaneten kreisen sie auf dem Bühnenboden der herrlich überdimensionierten Felsenreitschule in ganz persönlichen Umlaufbahnen. Gabriele Rupprecht hält die Kostüme zwischen Inspirationen vom Jugendstil-Erotik-Karikaturisten Bayros, ein bisschen Supermarkt-Erotik und feschen Frack-Teufeln in roten Socken. #MeToo wird in dieser ungestrichenen Aufführung mit Schärfe thematisiert. Auf den Bogennischen lauern Engerl und Teuferl, beim Kehraus erscheint ein Totentanz der Zeitgeist-Larven. Luke Sinclair wird als italienischer Sänger mit Krinolinenkleid für sechs Minuten zum Belcanto-Nabel der Welt.

Das Salzburger Landestheater hat ein Ensemble so treffsicher wie Amors scharfe Pfeile. Das gilt auch für die von Carl Philipp Fromherz erlesen präparierten Chormitglieder – vom Tierhändler bis zu den Kellnern. Eine strahlende Marianne Leitmetzerin (Victoria Leshkevich) brilliert neben dem gloriosen Intriganten-Paar (Irmgard Vilsmaier als Annina und Rainer Maria Röhrl als Valzacchi). Birger Radde ist als ihr Vaters Faninal so souverän wie Elizabeth Sutphen, die den Vergleich mit den besten Partienkolleginnen nicht zu scheuen braucht.

Beeindruckend gerät vom Mozarteumorchester unter Leslie Suganandarajah der Verzicht auf fast alle Fermaten, die den großen Walzer und so manche Konversationszelle sonst belasten. Die gewichtigeren Stimmen wirken nie schwer. Alle Musiker finden sich feinnervig in diese "Wiener Maskerad" aus kunstvoller Vulgarität und abgründiger Schönheit.

Bei Magdalena Anna Hoffmann hört man, das das Octavian-Abenteuer ein besonders schöner Stein im Collier der Marschallin und ihrer erotischen Aventüren ist. Sophie Harmsen brilliert in der Titelpartie mit einem feinherben Edel-Mezzo und viriler Chuzpe. Martin Summer setzt in der Rehabilitation des toxischen Ochs auf Lerchenau einen Höhepunkt. Aus der Hölle des Phallokraten macht er einen galaktischen Spaß. Jubel und minimaler Widerspruch folgen auf Schwabs Lesart, die dieses Opern-Zuckerl zum erotischen Bühnenfestspiel adelt.

Roland Dippel

Wieder am 5., 7., 9., 11., 21., 23., 25. Oktober, Karten auf salzburger-landestheater.at