Pilger lernen Land und Leute gut kennen. Etwas aber sehen die Wallfahrer, die sich zu Fuß auf den Weg nach Santiago de Compostela gemacht haben, später als die meisten anderen, die nach Asturien kommen: dass die Provinz den Namen "das grüne Spanien" durchaus zu recht trägt. Das nämlich wird am augenfälligsten, wenn man mit dem Flugzeug anreist. Erst geht es nach Madrid, dann wieder ein Stück zurück Richtung Norden. Der Blick nach unten zeigt ein oft verdorrtes, braunes Land – bis man die Küstengebirge und damit die Grenze zum Fürstentum erreicht. Schlagartig ändert sich die vorherrschende Farbe, Grün dominiert.
Dieser Eindruck, den man aus der Vogelperspektive gewinnt, bestätigt sich am Boden. Dank des Seeklimas bleibt Asturien selbst im Sommer von allzu großer Hitze verschont, und die Niederschläge, die es für eine recht üppige Vegetation braucht, verteilen sich gleichmäßig über das ganze Jahr. Gute Bedingungen also für Fußwallfahrer. Dennoch: Der französische Jakobsweg ist es, den mit Abstand die meisten Pilger nehmen, obwohl er durch das heiße spanische Hochland hinter den Küstenbergen verläuft.
Der "Camino del Norte", der sich an der asturischen Küste entlang windet, und der "Camino Primitivo", der von diesem abzweigt und durch das Hinterland des Fürstentums führt, sind vergleichsweise wenig frequentiert. Die Statistik für das Jahr 2017 besagt, dass nur 5,9 beziehungsweise 4,5 Prozent der registrierten Pilger auf diesen beiden Wegen nach Santiago de Compostela gewandert sind.
Der älteste Weg zum Grab des JakobusLetzterer hat seinen Namen – Camino Primitivo – nicht von ungefähr. Er bedeutet nichts anderes als ursprünglicher Weg. Der asturische König Alfons II. (791 bis 842), der den Beinamen der Keusche erhielt, soll ihn begründet haben, als er sich kurz nach der Entdeckung der sterblichen Überreste des Apostels Jakobus in Santiago von Oviedo, der Hauptstadt Asturiens, auf den Weg dorthin machte. Damit ist der Camino Primitivo der älteste Weg zum Grab des Jüngers. Er passiert Dörfer, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, und stille Gegenden, die tief in ländlichen Traditionen verwurzelt sind. Seinen Ausgang hat der ursprüngliche Weg in Oviedo – und dort in der Kathedrale San Salvador. Der monumentale Bau mit seiner Heiligen Kammer ist selbst ein Pilgerziel. Auch vom französischen Weg machen viele einen Abstecher und nehmen einen Umweg in Kauf, um die Kathedrale zu besuchen. Ein Sprichwort nennt den Grund: Wer nach Santiago kommt und nicht nach San Salvador, der besucht den Diener (den Apostel) und nicht den Herrn.
Auch wenn der ursprüngliche Weg also eigentlich erst in Oviedo beginnt: Die zwei Verbindungsetappen vom Küstenweg sollte nicht versäumen, wer an einer besonderen Art von Architektur interessiert ist – der präromanischen. Dieser Baustil entstand in der ersten Phase der Reconquista, als die asturischen Monarchen besonderes Interesse an der Kunst hatten. Als eines der letzten bedeutenden Bauwerke dieser Epoche gilt die Kirche San Salvador in Valdediós.
Gleich daneben liegt das Kloster Santa María, das von Karmelitinnen bewohnt wird. An sich sind sie der strengen Klausur verpflichtet, sie haben aber eine Ausnahmegenehmigung bekommen und dürfen auf Tour gehen – als Sängerinnen nämlich. Das tun sie recht erfolgreich, die Nachwuchsarbeit fruchtet, sogar eine frühere Heavy-Metalerin hat sich ihnen angeschlossen.
Auch sonst gehen die Ordensfrauen, die auch Pilgern eine Herberge bieten, mit der Zeit: die Unterkunft samt Kochmöglichkeit kostet sechs Euro pro Nacht und kann online reserviert werden. Und auch den kleinen Klosterladen vermarkten sie modern und zeigen sich dabei recht geschäftstüchtig.
Ist man 35 Marschkilometer später erst in der Hauptstadt Oviedo angekommen, lohnt ein längerer Stop. Sie hat einiges zu bieten, neben der Kathedrale auch ein weiteres Schmuckstück der präromanischen Ära, Santa María del Naranco, ein Palast, den Ramiro I. errichten ließ und der nie einem klar definierten Zweck diente. Freilich punktet Oviedo, das als bürgerliches Zentrum des Landes gilt, nicht nur mit Kultur, sondern vor allem mit quirligem Leben, gerade auch in der Altstadt.
Hochgebirge gleich hinter dem MeerÜberhaupt hat Asturien weit mehr zu bieten als die Pilgerrouten. An der 401 Kilometer langen Küste etwa reihen sich 198 Strände aneinander. Als die schönsten gelten die von Llanes. Und im Hinterland findet der Bergfreund ein reiches Betätigungsfeld – es gibt sogar zwei Skigebiete. Speziell die bis zu 2648 Meter hohen Felszacken der Picos de Europa, die den Kern des ältesten Nationalparks Spaniens bilden, ziehen Alpinisten an – und das gerade einmal gut 20 Kilometer vom Kantabrischen Meer entfernt. Die Erstbegehung des Picu Urriellu 1904 war ein Meilenstein. Noch heute stehen Bergsportler in Asturien hoch im Kurs: 2018 wurde Reinhold Messner mit dem international renommierten Preis "Princesa de Asturias" ausgezeichnet.
Freilich: Es ist nicht die Suche nach waghalsigen Abenteuern in wilden Felsfluchten, derentwegen die meisten Gäste kommen, sondern die nach Sinn auf der Fußwallfahrt durch das grüne Spanien – die ist Herausforderung genug.INFORMATIONEN
Die Provinz Asturien liegt im Norden Spaniens am Kantabrischen Meer. Auf ihren 10600 Quadratkilometern leben knapp über eine Million Menschen. Die Küste ist 401 Kilometer lang – die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt aber nur gut 70 Kilometer. In diesem engen Streifen reiht sich von malerischen Stränden bis hin zu schneebedeckten Gipfeln des Hochgebirges alles aneinander. Der Pilger, der auf dem ursprünglichen Jakobsweg, dem "Camino Primitivo", unterwegs ist, lernt viele Facetten kennen, von der quirligen Hauptstadt Oviedo bis zu abgeschiedenen Bergdörfern, von der geschichtsträchtigen Landschaft voller Kulturschätze bis zu stillen Gegenden.
ANREISEN
Der Flughafen Asturias liegt zwischen Gijón, Oviedo und Avilés, den drei größten Städten des Fürstentums. Angeflogen wird er unter anderem von der Fluggesellschaft Iberia von München über Madrid.
ÜBERNACHTEN
Entlang der Strecke liegen viele Pilgerherbergen. Wer Asturien von fixen Ausgangspunkten erkunden will, für den sind beispielsweise die Hotels Princesa Munia und de la Reconquista in Oviedo, das Hotel Hacienda de Don Juan in Llanes und das BAL Hotel & Spa in Villaviciosa gute Stützpunkte.
www.asturientourismus.de
Redakteur Stephan Hölzlwimmer erkundete Asturien auf Einladung von Turespaña.
Zu den Kommentaren