Befreit aus dem KZ-Außenlager Oberilzmühle

Gräueltaten und Hilfsbereitschaft: Erinnerungen aus Salzweger Heimatbuch

08.05.2020 | Stand 19.09.2023, 23:51 Uhr
Theresia Wildfeuer

Die Aufnahme von 1943, die Günther Eckerl vom Stadtarchiv Passau zur Verfügung stellt, zeigt einen Zwangsarbeiter (v.l.) aus dem KZ-Außenlager Passau I Oberilzmühle mit Mitarbeitern der Stadtwerke und Karl Brunner (r.), Direktor der Stadtwerke auf dem KZ-Gelände. −Foto: privat

Salzweg. An die Opfer des KZ-Außenlagers Oberilzmühle erinnert ein Mahnmal am Parkplatz des ehemaligen "Stausee-Stüberls" vor dem Kraftwerk Oberilzmühle. Häftlinge aus dem KZ Dachau und KZ Mauthausen schufteten hier, von SS-Leuten streng bewacht. Das Lager entstand 1941 und wurde am 2. Mai von den Amerikanern befreit. Sepp Kufner aus Oberilzmühle schildert in einem erschütternden Bericht im Heimatbuch der Gemeinde Salzweg von 2002 seine Erlebnisse sowie Gespräche mit Gefangenen, Bewachern, Beschäftigten und Anwohnern.

Arno Fischer, Generaldirektor der Rhein-Main-Donau AG, habe 1941 das Gelände Oberilzmühle, damals ein Gutshof mit Sägemühle, von der Stadt Passau erworben, um eine Forschungsstätte anzusiedeln und an der Ilz ein Versuchskraftwerk zu errichten, schreibt Kufner. Zum Bau des Kraftwerks habe man Häftlinge aus dem KZ Dachau im Oktober 1942 nach Oberilzmühle gebracht. Die rund 40 Gefangenen seien in einer 45 Quadratmeter großen früheren Lkw-Garage untergebracht worden. Gefangene aus dem KZ Mauthausen, das ab November 1942 für das Lager Oberilzmühle zuständig war, seien hinzugekommen. Für die rund 70 Häftlinge sei auf dem Holztrocknungsplatz des Sägewerks eine rund 200 Quadratmeter große Wohnbaracke errichtet worden.

Es seien vor allem politisch und religiös Verfolgte aus Tschechien und Polen, Juden, aber auch Kriminelle gewesen, die in Sägewerk und Werkstätten schuften oder die Staustufen bauen mussten, schreibt Kufner, der 2004 verstarb. Er berichtet über die menschenunwürdigen Zustände und das harte und von Ängsten erfüllte Leben im Lager. Wer in Sägewerk und Werkstätten eingesetzt war, sei froh gewesen, da es gelang, trotz strengen Kontaktverbots Essen von der Zivilbevölkerung zu erhalten. Die anderen mussten unter strenger Bewachung auf der Kraftwerksbaustelle schwerste Arbeiten verrichten, mit bloßen Händen gestockten Zement zerdrücken, "bis sie blau und wund waren". Sie mussten zusehen, wie Mitgefangene mit Stöcken misshandelt wurden wegen Bagatellen. Kontakt mit der Bevölkerung oder das Aufheben einer Kartoffel oder Tüte am Wegrand, die Zivilisten abstellten, seien besonders hart bestraft worden.

Dennoch gab es kleine Lichtblicke. Trotz raffinierter Sicherungsmaßnahmen riskierten Anwohner und Beschäftigte in der Forschungsstätte ihr Leben, um den Häftlingen zu helfen, schildert Kufner. Man habe mit Wissen des Hofverwalters und Eigentümers Kartoffeln ins Lager geschmuggelt. Getreide sei bei fingierten Dachreparaturen in den Kamin geschaufelt worden, damit es unten andere herausholen, in die Baracke bringen und nachts zu Schrot vermahlen konnten, das der Lagerkoch in die Suppe gab.

Auch Todesfälle habe es gegeben, schreibt Kufner. Im Herbst 1944 habe Lagerkommandant SS-Hauptsturmführer Werner den Sanitäter Biermann erschossen, weil er beschuldigt wurde, einer Frau zu nahe gekommen zu sein. Drei polnische Häftlinge seien nach einem missglückten Fluchtversuch erschossen worden. Im April 1945 sei der Befehl zur Liquidierung aller Lagerinsassen von Mauthausen ergangen. Der Befehl erreichte Lagerchef Werner nicht, sondern wurde von Arno Fischer verschwiegen. Trotz aller Geheimhaltung sei es einer couragierten Büroangestellten der Forschungsstätte gelungen, einen Häftling vor dem Tod zu bewahren und ihm und drei weiteren Insassen zur Flucht zu verhelfen. Sie flohen am 24. April 1945 nach Ruderting, zogen mit einem Flüchtlingstreck in Richtung Passau, bogen auf der Ries zur Triftsperre ab und gelangten nach Stuhlberg und Unterlimbach bei Salzweg. Ein Sägewerksarbeiter und seine Familie versteckten die vier. Nach einer Warnung wies der Arbeiter ihnen den Weg zum Einödhof Leitzing. Die Bauersleute nahmen sie auf und versteckten sie auf dem Dachboden. Von dort beobachteten sie das Vorrücken der US-Truppen aus Straßkirchen. "Diese waren ihre Befreier", so Kufner. Mit einem Jeep seien die Geretteten nach Oberilzmühle gebracht worden, schreibt Kufner. Das Lager habe sich schon in Auflösung befunden. Die US-Soldaten nahmen den Lagerführer fest, alle Häftlinge überlebten.

Nach der Befreiung errichteten fünf ehemalige Gefangene aus Polen ein Kreuz aus Eichenbohlen als Erinnerung an die leidvolle Zeit. Beim Bau des neuen Kraftwerks wurde es entfernt, das Lager später abgerissen. Weil ein ehemaliger Häftling, der 1979 seine Familie an diesen Ort des Schreckens führen wollte, "nichts mehr vorfand", initiierte Kufner die Errichtung des heutigen Denkmals, das mit Unterstützung des SPD-Ortsvereins Salzweg-Straßkirchen, der Gemeinde und privater Spender auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers entstand. Am 15. Oktober 1983 wurde es im Beisein der ehemaligen Häftlinge Johann Kunej aus Landskron und Karl Klemm aus Nürnberg eingeweiht. Auf Fußbodenbrettern, die später entdeckt wurden, hatten sie und Mithäftlinge ihr Leiden dokumentiert.