Berchtesgadener Land-Landrat in Berlin
Nach Asylgipfel: Kern kritisiert auch die eigenen Reihen

01.04.2023 | Stand 25.10.2023, 11:37 Uhr

Lächeln für die Kamera trotz der Herausforderungen und Ärger über Bund und Land: eine Abordnung aus Bayern beim Unions-Asylgipfel in Berlin mit Landrat Bernhard Kern (Dritter von links neben Staatsminister Joachim Herrmann). −Foto: LRA BGL

Seit Dezember wird Landrat Bernhard Kern nicht müde, auf die Überlastung des Berchtesgadener Lands in der aktuellen Flüchtlingskrise hinzuweisen. In Berlin ist der Ruf der Kommunalpolitiker gehört worden – zumindest bei der größten Oppositionspartei im Bundestag: CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz hatte für Donnerstag Kommunalpolitiker aus ganz Deutschland zu einem Asylgipfel eingeladen, darunter auch den Landrat aus dem Berchtesgadener Land, Bernhard Kern.

Gegenüber dem Reichenhaller Tagblatt/Freilassinger Anzeiger gab Kern am Freitag dazu eine Stellungnahme ab. Der Landrat aus dem Reihen der CSU scheute sich dabei nicht, Kritik auch an die eigenen Reihen zu richten: Bund und Freistaat Bayern haben es demnach seit 2015 versäumt, eigene Liegenschaften für solche Krisensituationen vorzubereiten.

Kern: „Geschlossenheit über Parteigrenzen hinweg“

„Die aktuelle Flüchtlingswelle stellt die Landkreise und ihre Kommunen vor große Herausforderungen, die eine enge Abstimmung und einen hohen Koordinierungsaufwand erfordern. Das ist auch beim gestrigen Treffen in Berlin und durch die Geschlossenheit aller Anwesenden über die Parteigrenzen hinweg deutlich geworden“, berichtet Kern in seiner Stellungnahme.

Er betont, dass es zwar zunächst vorrangig um Fragen der Unterbringung gehe, weist aber auch auf die Folgeprobleme im Bereich der Integration oder im Hinblick auf Schulen und Kitas hin. „Außerdem besteht gerade in den Ausländer- und Asylbewerberleistungsbehörden sowie dem Jobcenter ein erhöhter Arbeits- und Beratungsaufwand“, sagt der Behördenchef.

Die Warteliste des kommunalen Wohnbauwerk ist lang

Kern kommt auch auf den Wohnungsmarkt zu sprechen. Der nur 840 Quadratkilometer große Landkreis verzeichnet bekanntlich durch seine attraktive Landschaft und Nähe zu Salzburg rege Nachfrage. Viele Wohnungen stehen als Zweitwohnsitz leer oder sind hochpreisig. Der Bedarf durch die Flüchtlingssituation verschärft die Lage für die Einheimischen, der Markt für Normalverdiener ist praktisch leergefegt. Die Warteliste des kommunalen Wohnbauwerks im Berchtesgadener Land verzeichnet zum Beispiel rund 500 Interessenten, war jüngst im Kreisausschuss zu vernehmen.

Ärger über baufällige Immobilien in Staatshand

Kern weiß deshalb: „Bei der Anmietung von Unterkünften müssen wir auch stets die Auswirkungen auf die eigene Bevölkerung bedenken, da hier sehr intensiv in den ohnehin bereits angespannten Wohnungsmarkt eingegriffen wird. Verständlicherweise stößt dies auch auf Unmut aus der Bevölkerung.“ Diese Aufgabe könne nur mit gemeinsamem Verständnis und Rücksichtnahme bewältigt werden. „Vor diesem Hintergrund ist es auch ärgerlich, dass der Bund und der Freistaat Bayern zwar über Immobilien verfügen, diese sich jedoch schon seit Jahren in einem derart baufälligen und renovierungsbedürftigen Zustand befinden, dass an eine Unterbringung von Menschen nicht zu denken ist“, kritisiert der CSUler und verdeutlicht, dass sich auch die eigene Partei an die Nase fassen muss: „Da diese Zustände bereits seit Jahren oder Jahrzehnten bestehen, hätte man gerade nach der Flüchtlingskrise 2015/16 Vorsorge treffen können, um nicht wieder vor den gleichen Problemen zu stehen.“

Kern nimmt die Ampel-Regierung und CSU/FW-Koalition gleichermaßen in die Pflicht: „Von Bund und Land erwarte ich Regelungen für eine höhere Verteilgerechtigkeit im gesamten europäischen Raum, um einzelne Länder und Kommunen nicht zu überfordern.“ Aktuell werde die gesamte Last auf die Landkreise und Kommunen abgegeben – ohne die Herausforderungen und Belastungen zu sehen, die damit einhergehen.

Schnell handeln und dabei langfristig denken

Rasches Handeln fordert er von der Ampel: „Die Bundesregierung muss jetzt erkennen, wo die Probleme sind und entsprechende Lösungen auch schnell in die Umsetzung bringen. Auch die vollständige Kostenübernahme muss geklärt sein.“ Der Chef der Kreisverwaltung erinnert auch an den personellen Bedarf: „Wir brauchen Unterstützung, gerade im Hinblick auf die Errichtung von Wohnraum für die Flüchtlinge sowie die im Anschluss dringend erforderliche Integration.“ Denn: „Selbst wenn wir irgendwann eine Belegung von Turnhallen in Betracht ziehen müssen, stellt sich die große Frage: Was kommt danach?“

Schnelle, aber auch langfristige Lösungen braucht es, betont der Landrat. Dabei gehe es etwa um Wohnraum, Betreuung in Schulen und Kitas aber auch einen beschleunigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Diese Themen stellten sämtliche Landkreise in Deutschland vor immense Herausforderungen, das sei in den gestrigen Gesprächen sehr deutlich, deshalb fordert der Kommunalpolitiker an der Basis nicht zuletzt einen Schulterschluss: „Die derzeitige Lage erfordert den Zusammenhalt aller politischen Entscheidungsträger.“


Fünf Fragen an das zuständige Sachgebiet am Landratsamt:

Wie ist der aktuelle Stand der Flüchtlingszahlen, insgesamt und unterteilt in Ukrainer und andere Staaten?
Insgesamt halten sich mit Stand 28. März 2023 im Landkreis Berchtesgadener Land 2511 Geflüchtete auf. Hierbei handelt es sich um 1477 ukrainische Kriegsflüchtlinge und 1034 Asylbewerber.

Wo beziehungsweise wie sind sie derzeit untergebracht?
Das Landratsamt betreibt aktuell mehr als 60 dezentrale Unterkünfte für die Unterbringung der Geflüchteten. Die unterschiedlichen Unterkünfte reichen von ehemaligen Hotels über Pensionen, Einfamilienhäuser bis hin zu Ein-Zimmer-Wohnungen. Außerdem verfügt das Landratsamt über eine dezentrale Erstanlaufstelle in Bad Reichenhall, die als Anfahrtspunkt für die Buszuweisungen dient. Von dort aus werden die ankommenden Personen auf die Anschlussunterbringung verteilt. Selbstverständlich sind gerade auch viele ukrainische Kriegsflüchtlinge in privaten Wohnungen untergekommen.

Was wird noch an Plätzen in absehbarer Zeit benötigt?
Die Regierung von Oberbayern hat mitgeteilt, dass weiterhin alle zwei Wochen eine Zuweisung von ca. 50 Flüchtlingen an die Landkreise erfolgt. Die nächste Zuweisung für den Landkreis Berchtesgadener Land ist am 4. April 2023 angekündigt. Aufgrund der hohen Erfüllungsquote im Landkreis erfolgt voraussichtlich am 18. April keine Zuweisung. Danach kehren wir jedoch wieder in den regulären Rhythmus zurück. Dies bedeutet, dass der Landkreis bis Ende Juni nach aktuellem Stand einen Platzbedarf für 300 Personen hat. Dies hängt natürlich stark vom weiteren Zugangsgeschehen im Allgemeinen ab, weshalb es sich hierbei nur um Prognosen handelt. Je nach Zustrom kann die Zahl auch steigen oder sinken.

Wie viele Plätze werden in absehbarer Zeit geschaffen, zum Beispiel durch Container in Bad Reichenhall?
Leider ist die Anzahl der gemeldeten Unterkünfte in den vergangenen Wochen stark zurückgegangen. Dies liegt sicherlich auch daran, dass der Großteil der verfügbaren Unterkünfte bereits angemietet und belegt ist, oder sich in einem stark renovierungsbedürftigen Zustand befindet. Dennoch wird mit Hochdruck daran gearbeitet, auch weitere Unterkünfte als Bestandsimmobilien zu akquirieren. Zusätzlich wird der Fokus auch auf den Bau von Containern gelegt. Hierbei handelt es sich jedoch um Planungen, die sich noch im Anfangsstadium befinden. Insgesamt ist das Landratsamt froh, wenn Firmen entsprechende Containerunterkünfte auf ihren Grundstücken errichten und dann dem Freistaat Bayern vermieten. Die Schaffung gleich mehrerer Containerunterkünfte in Eigenregie durch den Landkreis ist schon aufgrund der begrenzten personellen Ressourcen, anderer Pflichtaufgaben und der vergaberechtlichen Hürden kaum darstellbar.

Welche Hallen werden als erstes belegt bzw. wie nahe sind wir im Berchtesgadener Land dran, dass wir eine Halle vorbereiten müssen?
Aktuell hat der Landkreis Berchtesgadener Land nur noch wenige Restplätze zur Verfügung, sodass auch die Belegung von Turnhallen (wie sie in anderen Landkreisen bereits seit geraumer Zeit erfolgt) nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Sofern der Landkreis die zugewiesenen Flüchtlinge nicht mehr in der Anschlussunterkunft unterbringen kann, muss als letztes Mittel auch eine der kreiseigenen Turnhallen belegt werden. Welche dies konkret sein wird, wird dann im Rahmen der Koordinierungsgruppe entschieden werden.


Die Fragen stellte Sabine Zehringer.