Trostberg
Müttercafé: Auf den Tisch kommt, was Frau bewegt

Nach Corona-Zeit im Foyer 2 des Stadtkinos neu durchgestartet – Austausch über Alltägliches, Sorgen und Freuden

27.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:29 Uhr

Im Foyer 2 über dem Stadtkino finden die Frauen, die das Müttercafé besuchen, einen geschützten und gemütlichen Ort. Jeden Donnerstagvormittag darf über alles geredet werden, was interessiert und bewegt. Leiterin ist Andrea Hinkofer (rechts am Tischende). −Foto: Detzel

Von Katrin Detzel

Heute ist es Fatma. „Alles Natur, alles selbstgemacht, keine Fertigpäckchen“, wirbt sie für ihre Tarhana. Bei der Kälte draußen ist die würzige türkische Suppe willkommen. „Die kennen wir bei uns nicht“, stellen Gül und Ebru fest. Sie kommen aus einer anderen Ecke der Türkei, „und auch bei uns sind die Rezepte in jeder Region anders.“

„Es ist unglaublich, was ich schon alles probieren durfte“, sagt Andrea Hinkofer. Die Traunsteinerin leitet diese „kleine Auszeit“ für Frauen, seit das Müttercafé in Kooperation von AWO-Familienstützpunkt und SozialRaum 2019 ins Leben gerufen wurde. Lange hatten die Treffen immer am Donnerstag von 9 bis 10.30 Uhr pausieren müssen. Seit Mai 2022 finden sie wieder statt, nun aber im Foyer2 des Stadtkinos. Hier stehen den Frauen eine Küche und gemütliche Sitzgelegenheiten zur Verfügung.

Raum für sich, ohne Kinder, nur unter Frauen

Vor allem aber bieten die Räume im ersten Stock über dem Kino einen geschützten Rückzugsort. Das ist wichtig, erklärt Hinkofer. Die Frauen brauchen einen Platz für sich, ohne Männer, und eigentlich auch ohne Kinder. Dass an diesem Tag einige Kleinkinder herumwuseln, liegt daran, dass die „Rasselbande“ krankheitsbedingt einen personellen Engpass hat. „Normalerweise sind sie dort gut betreut, und das ist auch wichtig. Die Kinder sollen ja lernen, auch mal ohne Mama zu sein.“ Und auch die Mütter wissen das Zeitfenster für sich zu schätzen. „Das Zusammensitzen tut mir gut“, sagt Ebru. „Zuhause ist immer Stress“, so die vierfache Mama. Und weiter: „Gut tut mir auch, dass ich jedes Mal mit einem neuen Wort heim komme, das ich gelernt habe.“

Die Frauen könnten unterschiedlicher kaum sein. Sie trennen Jahrzehnte an Altersunterschied, die eine hat in ihrer Heimat keine Schule besucht, die andere hat studiert, einige tragen Kopftuch, andere nicht. Und doch sind an diesem Tisch alle gleich, akzeptieren sich, wie sie sind.

Gelacht wird miteinander, nicht übereinander

„Am Anfang war da viel Scham“, erinnert sich Hinkofer. Das legte sich, als die Frauen lernten, dass gerne miteinander, aber nie übereinander gelacht wird. Und dass sie hier alle Themen ansprechen dürfen. Was von Frau zu Frau erzählt wird, bleibt unter Frauen.

Natürlich geht es um Kochrezepte, Kindererziehung und Schminktipps. Tipps von Shirzael, die in Afghanistan eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht hat, sind heiß begehrt. „Gerade bin ich nur Hausfrau, aber nach der Mutterzeit mache ich den Integrationskurs“, berichtet sie von ihren Plänen. Ihr Achtjähriger ist in Afghanistan geboten, die beiden jüngeren schon in Deutschland.

Auch über Unterschiede in der Kultur oder Religion ihrer Länder tauschen sich die Frauen gerne aus. Hasina hat am Handgelenk die Reste roter Farbe. „Wir bemalen uns zum Zuckerfest oder zu einer Hochzeit mit Henna. Aber weil gerade kein Anlass ist, habe ich das daheim nur so für mich gemacht“, erzählt sie. Fotos von Goldschmuck werden gezeigt – er ist mehr als nur ein Geschenk für die Frauen, denn ohne das Gold stehen sie in der Heimat unversorgt da, wenn dem Mann etwas zustößt.

Treffen über die Gruppe hinaus

Etwa zehn Frauen sind der feste Kern, so Hinkofer. Über eine WhatsApp-Gruppe tauschen sie sich im Vorfeld der treffen aus, aber generell gilt: der Kreis ist offen, wer kommt, der kommt. Manche von ihnen kennen sich durch die Brückenschule oder die Rasselbande. Vieles hat sich aus dem Müttercafé heraus entwickelt. Etwa, dass die Kärntnerin Lilli den geflüchteten Frauen beim Lernen für die Führerschein-Theorie hilft. Oder die gemeinsamen Verabredungen zu den Kindergeburtstagen oder fürs Wochenende.

Einige sind auf besondere Weise verbunden. Ebru und Gül sind etwa Schwägerinnen, und Fanni ist die „deutsche Mama“ von Hasina, und das im wahrsten Wortsinn: Die Rabendenerin und ihr Mann haben Hasina, nachdem die Familien in den vergangenen sechs Jahren zusammengewachsen sind, inzwischen offiziell adoptiert. Und bald, so berichtet Hasina stolz, werde sie sogar deutsche Staatsbürgerin sein. Hasina ist von Beginn an bei den Treffen dabei und, wie Hinkofer meint, „die heimliche Chefin“, die immer gerne was organisiert.

Vieles, was besprochen wird, ist praktischer Natur. Etwa die Frage, wohin man zum Friseur geht oder was es mit dem Zensus-Schreiben auf sich hat, das da im Briefkasten lag. Die Frauen nehmen Anteil, erkundigen sich nach Krankheiten oder dem Wohl einer Schwangeren. „Da, schau“, heißt es, und wieder wird ein Handyfoto gezeigt.

Mal ernst, mal heiter, mal Lachen, mal Weinen

Auch Shirzael zeigt gerne ihre Fotos, etwa von einer Hochzeit, für die sie sich herausgeputzt hatte. Sie erweckt den Eindruck einer aufgeschlossenen jungen Frau. Doch dann berichtet sie, was unter der Oberfläche an ihr nagt: Die große Sorge um ihre drei Schwestern, die in Afghanistan den ganzen Tag bei den Eltern daheim hocken, weder studieren noch zur Arbeit dürfen und sich aus Angst vor den Taliban nicht aus dem Haus trauen.

Sie erklärt auch, warum ihr Mann von dem Geld, das er im Schichtbetrieb am Fließband verdient, möglichst viel in die Heimat schickt: „Bei uns gehen die Frauen nach der Hochzeit über in die Familie des Mannes und kümmern sich um seine Eltern, nicht mehr um ihre.“ Nun habe ihr Mann acht Schwestern, aber keine Brüder. Damit die Eltern im Alter nicht alleine sind, verzichteten zwei der Schwestern auf Hochzeit und Familie. Da aber Frauen nicht arbeiten dürfen, braucht es den nach Deutschland ausgewanderten Sohn, damit die Familie Geld zum Leben hat. „Das ist so traurig, wenn man denkt, wie fortschrittlich Kabul früher mal war“, wirft die deutsche Hanni ein.

Aus heiterem Himmel schiebt sich mitten ins fröhliche Geplaudere solch ein ernstes Thema. Wie aus dem Nichts schlägt die Stimmung kurz darauf wieder um ins Heitere. Die Frauen wissen, oft ist es schon eine große Hilfe, dass einfach mal jemand zuhört und man sich etwas von der Seele reden kann. „Bei uns wird gelacht und geweint“, sagt Hinkofer. Beides verbindet, beides ist nötig.