Deggendorf
Das schwere Los der Deggendorfer Frauen im Ersten Weltkrieg

14.12.2015 | Stand 18.09.2023, 0:49 Uhr

Der Frauenverein vom Roten Kreuz hatte mit Kriegsbeginn im städtischen Krankenhaus ein Vereinslazarett eingerichtet. Es nahm besonders schwere Fälle auf.

Frauen kommen in der Geschichtsschreibung häufig zu kurz, auch bei der Darstellung von Kriegsereignissen. Das war Veranlassung für Professor Dr. Lutz-Dieter Behrendt, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deggendorfer Stadtarchiv, in der jüngsten Veranstaltung der von der Volkshochschule Deggendorfer Land und dem Deggendorfer Geschichtsverein gemeinsam getragenen Reihe "Geschichte am Vormittag" sich dem Schicksal der Frauen in Deggendorf während des Ersten Weltkrieges zuzuwenden. Für die DZ hat er seine Erkenntnisse zusammengefasst.

Es gibt nur wenige Quellen im Stadtarchiv zu dieser Thematik. In den Sitzungsprotokollen des Stadtmagistrats zwischen 1914 und 1918 spielen die Probleme der Frauen kaum eine Rolle, und auch in den Meldungen des "Deggendorfer Donauboten" muss man genau hinsehen und oft zwischen den Zeilen lesen, wenn man erfahren will, wie die Frauen damals dachten und was sie erlebten. Bei dem Bericht über die euphorische Kriegsbegeisterung in der Stadt zu Kriegsbeginn findet sich beispielsweise auch die Bemerkung: Im Schatten aber stehen Frauen und Mütter, ein Kind auf dem Arme, eines an der Schürze, und Tränen in den Augen seufzen sie: ‚O Gott, was wird das noch werden?‘

Für die Masse der einfachen Frauen in Deggendorf bedeutete der Kriegsdienst der Männer das Fehlen oder gar den Tod des Ernährers, die alleinige Sorge um Ernährung und Kleidung der oft zahlreichen Kinder, schließlich Hunger und die Notwendigkeit der Aufnahme ungewohnter Arbeiten in Landwirtschaft oder in der Fabrik. Wegen der schlechten Ernährungslage in den Kriegsjahren nahmen auch Krankheiten von Frauen und Kindern zu. Stadt und Landbezirk Deggendorf hatten nach Kötzting von allen Amtsbezirken Niederbayerns die meisten Tuberkulosefälle. Jährlich starben von 10 000 Einwohnern durchschnittlich 30 an Tuberkulose, während es in Kelheim und Grafenau nur 11 bzw. 12 waren.

Neun Mark im Monat für die Soldatenfrau, sechs Mark pro KindDie Reichsunterstützung für die Familien der Eingezogenen betrug anfangs nur sechs Mark monatlich für die Ehefrau und vier Mark pro Kind, ab 18. August 1914 zwar neun Mark für die Frauen und sechs Mark für ein Kind. Die Beträge reichten aber nicht, um das Existenzminimum zu sichern. Im September 1915 erhielten 365 Familien mit 885 Köpfen diese Reichsunterstützung, 100 von ihnen mit 340 Köpfen mussten von der Stadt zusätzlich unterstützt werden, wobei es sich dabei um Minibeträge handelte.

Fiel der Mann oder Sohn – 310 Gefallene wurden während des Ersten Weltkrieges in Deggendorf und den später eingemeindeten Orten gezählt – wurden die Frauen damit getröstet, dass ihre Lieben den Heldentod für das Vaterland gestorben seien. Der Heldentod ist wohl der schönste Tod, hatte ein Gefallener kurz vor seinem Ende an die Mutter geschrieben. In der Heimatzeitung hieß es dazu: "Das sind goldene Soldatenworte, ein erhabenes Finale für die Laufbahn eines Kriegsmannes. Nur Glück kann man solchen Eltern wünschen, die derartige Worte als Abschiedsgruß ihres dem Soldatentod geweihten Sohnes empfangen; sie haben sich für ihre Kinder nicht umsonst geplagt."

Hat sich die Mutter nicht doch etwas anderes für ihren Sohn gewünscht?

Frauenverein: "Allzeit bereit in Krieg und Friedenszeit"Die Witwe eines einfachen Soldaten erhielt 400 Mark im Jahr als Hinterbliebenenversorgung, ein Kind 168 Mark und Eltern, deren Unterstützer durch den Tod des Sohnes weggefallen war, konnten bei Bedürftigkeit höchstens 250 Mark jährlich bekommen. Kehrten die Männer tatsächlich vorzeitig aus dem Krieg zurück, dann waren sie oft Invaliden oder psychisch traumatisiert mit allen negativen Folgen für das Familienleben.

Größere patriotische Begeisterung als bei den einfachen Kriegerfrauen herrschte bei der so genannten gutbürgerlichen Schicht, bei den Frauen des Zweigvereins vom Roten Kreuz. Der Frauenverein vom Roten Kreuz, 1869 in Bayern gegründet, hatte 1914 in über 400 Zweigvereinen rund 70000 Mitglieder und war damit der größte Frauenverein in Bayern. Seine Devise war: Allzeit bereit in Krieg und Friedenszeit.

In Deggendorf hatte der Verein rund 250 Mitglieder, alles Ehefrauen, Witwen oder Töchter von Kaufleuten, Handwerksmeistern, Unternehmern, Offizieren, Beamten, Angehörigen der freien Berufe, Ökonomen (wohlhabenden Landwirten) und Gutsbesitzern aus der Stadt und Umlandortschaften. Der Verein war nicht konfessionell gebunden. Neben vielen Katholikinnen gehörten auch evangelische Frauen und die jüdischen Kaufmannsfrauen Rosa Lauchheimer, Emma Roederer und Martha Stern dem Verein an. Vorsitzende war Frau Regierungsrat Ilka von Lenk-Dittersberg, die Gattin des Deggendorfer Bezirksamtsmanns. Ihre Stellvertreterin war Frau Hofrat Maria Kinskofer, die Frau des Deggendorfer rechtskundigen Bürgermeisters. 1916 übernahm die Lebzeltersgattin Therese Mitterwallner den Vorsitz. Die Oberstleutnantsgattin Marianne Maegelen wurde ihre Stellvertreterin.

Hauptaufgabe des Vereins war die Vorbereitung der Unterstützung des Kriegssanitätswesens. So hatte das Zentralkomitee des Frauenvereins in München schon im Januar 1914 – Monate vor Beginn des Krieges – zu einer Sammlung zugunsten der freiwilligen Krankenpflege im Kriege aufgerufen, die in Deggendorf einen Betrag von 4111 Mark brachte. Mit Kriegsbeginn richtete der Frauenverein vom Roten Kreuz sofort ein Vereinslazarett im städtischen Krankenhaus mit anfangs 20, dann 28 Lagerstätten ein, für das die gesamte Ausrüstung von der Wäsche über das Verbandsmaterial bis zu Geschirr, Gläsern und Bestecken aus einem schon vor dem Krieg angelegten Depot des Vereins kam. Bereits am 16. September 1914 wurde das Lazarett in Betrieb genommen. Es nahm besonders schwere Fälle bzw. Soldaten mit ansteckenden Krankheiten auf. Ein zweites Vereinslazarett, nicht vom Frauenverein getragen, wurde am 19. Oktober im Gesellenhaus des Kolpingvereins mit einer Kapazität von 70 Betten eröffnet.

Bereits Anfang August wurde vom Verein ein Krankenpflegerinnenkurs ins Leben gerufen. Da die Teilnehmerinnen aber im Mobilmachungsfalle sich zur Pflege im In- und Ausland für mindestens drei Monate verpflichten und auch die gesamten Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände aus eigenen Mitteln aufbringen mussten, hielt sich die Zahl der ausgebildeten Pflegerinnen mit sieben doch sehr in Grenzen.

Erfolgreicher war der Verein mit der Werbung von Arbeitskräften für andere Tätigkeiten im Lazarett. So konnten schnell acht Köchinnen und zehn Wäscherinnen, die auch zu anderen Dienstleistungen bereit waren, gewonnen werden.

Gemeinsame Anfertigung von Leib- und Bettwäsche war ein weiteres Betätigungsfeld. Dazu stellte der Stadtmagistrat den Rathaussaal vom 7. September bis 2. November 1915 zur Verfügung. Ende 1915 betrieb der Verein eine Nähstelle mit 21 freiwilligen Näherinnen und 23 bezahlten Lohnarbeiterinnen bzw. Heimarbeiterinnen.

Ständige Aufgabe des Frauenvereins war die Sammeltätigkeit für Frontsoldaten und Verwundete. Im ersten Kriegsjahr wurden allein zehn Sendungen vom Deggendorfer Ortssammelkomitee, in dem Frauen aus dem Zweigverein vom Roten Kreuz und vom Katholischen Frauenbund zusammenwirkten, mit jeweils vier bis acht Kisten an die Kreissammelstelle in Landshut zur Verteilung gesandt. Es gab die unterschiedlichsten Sammelkampagnen: zum jährlich durchgeführten Opfertag, zum Kriegsgefangenentag, zu Wohltätigkeitskonzerten und vor allem zu den Weihnachtsspenden, bei denen unter den Liebesgaben ausdrücklich auch Tabak, Zigarren und Zigaretten, Wein und Kognak zur Hebung der Moral der Verwundeten gewünscht waren.

Zunehmend wichtiger wurde auch die Fürsorgetätigkeit für die bedürftigen Angehörigen der Kriegsteilnehmer. Sie wurde von einem bayerischen Landesausschuss koordiniert, in dem unter Federführung des Frauenvereins vom Roten Kreuz der Katholische Frauenbund, der Deutsch-Evangelische Frauenbund, der Jüdische Frauenverein und der Hauptvorstand des Bayerischen Frauenvereins zusammenwirkten. Die Suppenanstalt der Frauenvereine in der Haushaltungsschule versorgte seit 1. November 1914 rund 400 Kinder mit warmem Essen.

Eine der wichtigsten Aufgaben, die vom Referat Frauenarbeit des militärischen Generalkommandos straff geleitet wurde, war die Vermittlung von Arbeit für die Frauen. Durch die Millionen zum Militärdienst eingezogenen Männer fehlte es allerorten, besonders aber in der Landwirtschaft an Arbeitskräften. Dorthin wurden Frauen und Mädchen, ja selbst Schulkinder gelenkt. Viele Frauen mussten ja arbeiten, da die Reichsunterstützung zum Leben nicht reichte, andere wurden durch Druck dazu gebracht. Sie sollten – so hieß es in einem Rundschreiben – durch Einwirkung von Frau zu Frau entsprechend belehrt werden. In Schaching wurden beispielsweise 30 Frauen in der Sauerkrautfabrik eingesetzt.

Seit Kriegsbeginn herrschte Mangel an Rohstoffen und Lebensmitteln. Es wurden Lebensmittelkarten und Bezugscheine für fast alle Waren eingeführt. Frauen waren die Adressaten aller Sparsamkeitsaufrufe. In Ratschlägen für den sparsamen Lebensmittelgebrauch wurde die besondere Rolle der Hausfrauen betont. Es wurden besondere Hausfrauenvereinigungen gebildet. Bei der Werbung für die Kriegsanleihen oder für den Tausch von Gold in Eisen wurde bewusst auf die Frauen gesetzt. Frauenhaar wurde als wichtiger Kriegsrohstoff gesammelt.

Kriegsmüdigkeit stieg von Jahr zu JahrAnfang 1916 musste das Zentralkomitee des Frauenvereins feststellen, dass infolge der langen Kriegsdauer eine gewisse Abnahme der Gebefreudigkeit sich nicht in Abrede stellen ließ. Der Verein wurde deshalb mit Durchhalteparolen mobilisiert. Der vierte Kriegswinter – wie können die Frauen mithelfen, ihn zu überwinden? Unter diesem Motto fanden in ganz Bayern, auch in Deggendorf, Versammlungen statt. Auf einer Landfrauenversammlung im Dezember 1917 hetzte ein Wirtschaftsoffizier aus Deggendorf gegen die viel zu zärtliche Behandlung der bei den Landwirten in Arbeit stehenden Herren Kriegsgefangenen. Offensichtlich verfing sich die Feindpropaganda, die Anfang des Krieges sich bis zur Absurdität des Nichtgebrauchs von französischen Ausdrücken wie Robe oder Krawatte verstieg, immer weniger bei den Frauen, die im täglichen Arbeitskontakt mit Kriegsgefangenen standen, denn der Offizier wies mit Entrüstung auf die vielen Fälle hin, wo deutsche Frauen und Mädchen dem deutschen Namen Schande machen.

Die Kriegsmüdigkeit und die Erschöpfung der Frauen durch Arbeit und Entbehrungen wuchsen von Kriegsjahr zu Kriegsjahr, so dass sie mehr und mehr ein Ende des Krieges ersehnten. Auch die führenden Frauen des Frauenvereins vom Roten Kreuz, Frau Lenk und Frau Kinskofer, mussten den Tod ihrer Söhne an der Front beklagen.