Wegen Diebstahl und Körperverletzung in die Psychiatrie?

BGH hebt Münchner Urteil auf - Nun muss das Landgericht Ingolstadt klären, ob 36-Jähriger gemeingefährlich ist

12.05.2021 | Stand 23.09.2023, 18:36 Uhr
Mit diesem um den Bauch gebundenen Gürtel mit fest angebrachten Handschellen wurde der Beschuldigte aus Straubing vorgeführt, wo er einstweilen untergebracht ist. −Foto: Müller

Ingolstadt - Die Münchner haben es nicht hinbekommen, jetzt sollen es die Ingolstädter richten: Schon zweimal war der Fall beim Bundesgerichtshof (BGH), der ihn zunächst an das Münchner Landgericht zurückverwiesen hatte.

Weil aber auch das zweite Münchner Urteil fehlerhaft war, muss jetzt das Ingolstädter Landgericht entscheiden.

Es geht um einen an paranoider Schizophrenie erkrankten 36-jährigen Obdachlosen aus Garmisch-Partenkirchen. Im Juli 2018 wollte er - so steht es in einer der BGH-Entscheidungen - eine ihm nur vom Sehen her bekannte Mitarbeiterin eines Supermarktes aus Wut zur Rede stellen, weil sie in "seinem früheren Leben . . . gewisse Dinge getan" habe. Um eine Auseinandersetzung zu provozieren, steckte er zwei Zigarettenpackungen ein und schlug um sich, als er vom Personal des Supermarkts festgehalten wurde. Die zwei Messer, die er dabei hatte, setzte er aber nicht ein. Ein anderes Mal ist er nachts in eine Kfz-Werkstatt eingebrochen und hat dabei einen Schlagring, der übrigens als Waffe gilt, gestohlen.

Dass der 36-Jährige wegen Schuldunfähigkeit freizusprechen war, stand außer Frage. Es geht vielmehr um die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und dabei um die Abwägung von persönlicher Freiheit des Beschuldigten und dem Interesse der Allgemeinheit, von weiteren Taten verschont zu bleiben; also um die Frage: Wird er infolge seines Verfolgungswahns weitere Straftaten begehen? Das Landgericht München II war sich hier sicher und ordnete in beiden Urteilen die Unterbringung an. Die Richter des BGH haben dieses Ergebnis zwar nicht strikt abgelehnt, ihnen war aber die Begründung zu dünn.

Hintergrund ist, dass eine Unterbringung - wie der BGH es formuliert - als "außerordentlich belastend" gilt. Während ein verurteilter Straftäter in der Regel weiß, wann er aus dem Gefängnis wieder entlassen wird, ist der Untergebrachte auf ein psychiatrisches Gutachten angewiesen, das ihm attestiert, nicht mehr gemeingefährlich zu sein. Der Untergebrachte weiß nicht, wann er entlassen wird. Er weiß noch nicht einmal, ob das überhaupt jemals der Fall sein wird. Deshalb und auch als Reaktion auf den Fall Gustl Mollath hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für eine Unterbringung vor fünf Jahren verschärft. "Allein mit der allgemein erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefährlichkeitsprognose nicht begründet werden", hat der BGH in der Verweisungsentscheidung klargestellt und ein zusätzliches Gutachten angeregt. Die 1. Strafkammer hat daher neben dem ursprünglichen Sachverständigen zwei weitere hinzugezogen, einen Psychiater und einen Psychologen, die am Donnerstag nächster Woche vernommen werden sollen. Ob dann auch schon eine Entscheidung fällt, ist offen.

Der Weg, den der BGH angedeutet hat, weist wohl in Richtung Freiheit: Zwar äußere der Beschuldigte "durchaus massive Gewaltfantasien", die verübten Delikte seien jedoch eher geringfügig. Ich bin einfach nur ein Kleinkrimineller, schätzte sich der 36-Jährige am Mittwoch selbst ein, "gegen Rache impfen" würde er sich aber schon gerne lassen. Denkbar wäre auch, dass die Strafkammer eine Unterbringung auf Bewährung anordnet - unter Auflagen und mit Kontrollen.

DK

Andreas Müller

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