Allgäuer Schlossparkrunde: Wo der Radler König ist

01.09.2017 | Stand 19.09.2023, 22:18 Uhr

Radeln vor märchenhafter Kulisse: Die Schlossparkrunde im Allgäu hält Schloss Neuschwanstein als Höhepunkt für radelnde Urlauber bereit. − Foto: AT

Das Allgäu auf dem Rad erleben? Der Gedanke daran mag erstmal abschreckend wirken. Man hat ja ein bestimmtes Landschaftsbild im Hinterkopf. Gut, dass die Allgäuer Touristiker voll auf das E-Bike setzen. Mit eingebautem Rückenwind lässt sich die Radreiseregion Schlosspark im Allgäu entspannt genießen, während das Gepäck per Transportservice zu den ausgesuchten Orten voranfährt. Das Land und die Menschen haben viel zu erzählen. Und so wird der Weg tatsächlich zum Ziel.

Auf dem Emmentaler Radweg von Nesselwang nach Speiden: Schnell hat sich der Blick an die Herren des Ostallgäus gewöhnt: Grünten, Tegelberg und Säuling begleiten den Radler auf der Tagestappe durchs Voralpenland. Übers Kopfsteinpflaster der alten Wertachbrücke, vormals Hauptverbindungsstrasse zwischen Kempten und Pfronten, geht’s hinauf Richtung Gemeinde Wald. Wer will, kann hier schon der Allgäuer Küche in ihrer traditionellsten Form begegnen: In der Walder Käsküche verarbeitet die Familie Babel die Milch ihrer 70 Kühe selbst. Hausmannskost mit jeder Gabel Kässpatzen. Himmlisch. Der Sohn des Hauses, Simon Babel (26), erzählt in der Schaukäserei, er wollte schon als Erstklässler Käser werden – weil ihn die bildliche Darstellung eines Käsers in einem Wirtshaus in Kempten so faszinierte.

Die Geschichten der Menschen im Ostallgäu, so erwächst der Eindruck, sind die Geschichten der Landschaft. So auch in Seeg. Die Gemeinde begegnet dem Radler als "Honigdorf". In der Erlebnisimkerei in der alten Schule befüllt Edelka Christiansen (67) eine Zwei-Waben-Schleuder. Vor 13 Jahren hat die drahtige Fitnesstrainerin Hamburg hinter sich gelassen. Heute ist sie eine von 55 Imkern Seegs – und Gemeinderätin. Lächelnd hebt sie den Eimer unter der Schleuder weg. Goldgelber Löwenzahn-Honig bedeckt den Gefäßboden. Dass sich Seeg zum Honigdorf erklärte, hat die Gemeinde der Autobahn zu verdanken. Als mit dem Bau der A7 der Verkehr am Ort vorbeigelenkt wurde und die Gemeinde befürchtete, vom Touristenstrom abgehängt zu werden, besann man sich der alten Imker-Tradition und baute sie kurzerhand aus. Frisch gestärkt mit einem Schluck Honig-Limonade geht’s im Sattel dem Tagesziel in Speiden entgegen.

Der Antonator füllt verlorene Kalorien aufDas Sudhaus Maria Hilf wartet mit einem fürs Allgäu ungewöhnlichen Anblick auf: Ein Backstein-Bau mit Bogenfenstern erhebt sich neben der Wallfahrtskirche. Drinnen wartet der "Antonator", ein dunkler Doppelbock mit 18,7 Prozent Stammwürze, gebraut vom Chef des Hauses, Anton Kössel. Gut, dass für heute Schluss ist mit Radeln.

Auf der Klosterrunde zwischen Irsee und Kaufbeuren: Bei 800 Veranstaltungen mit 25000 Besuchern jährlich ist klar, dass im Kloster Irsee immer was los ist. Der imposante Baukörper, umgeben von altem Baumbestand, gibt als Bildungsstätte und Tagungshotel des Bezirks Schwaben großzügig Raum für Veranstaltungen. Tagesbesucher spüren in den hohen, lichten Barockräumen der Geschichte des Klosters als bedeutende Stätte mathematischer Forschung und der Musik nach.

Bayerische Kultur trifft einzigartige NaturKloster Irsee hinter sich lassend, geht’s über eine hügelige Strecke der Kreisstadt Kaufbeuren entgegen. Das Zentrum am nordöstlichen Rand des Ostallgäus begegnet dem Radler mit engen Gassen und alten Mauern, in denen Geschichte atmet. Einen nicht unwesentlichen Teil davon erzählt das Cresentiakloster, das, von der Altstadt umschlossen, das Wirken der großen Stadtheiligen lebendig hält. Wer mit dem Eintritt durch die Klosterpforte das laute Treiben in den Gassen hinter sich gelassen hat, trifft mit großer Wahrscheinlichkeit auf Schwester Daniela (34). Die gebürtige Kaufbeurerin ist so etwas wie die Außenministerin des Franziskanerinnen-Konvents. Wenn man zuhört, wie die junge Frau im Habit so lebensfroh über die Lebensgeschichte ihrer Ordensheiligen und deren Weg vom Mobbing-Opfer zur Äbtissin erzählt, erahnt man einen Grund, warum das Crescentia-Kloster keinen Nachwuchsmangel kennt.

Auf der Via Claudia am Lech entlang: Mehr geht hier nicht an Wasser-Erlebnissen auf dem Rad. Zwischen Stötten und Füssen dürfen sich Mensch und Rad gleich zweimal der Antriebskraft von Schiffsmotoren überlassen. In Lechbruck macht die tosende Wasserwalze des Lech durchaus Eindruck, wenn das Rad aufs Lechfloß geschoben wird. Flusskapitän Stefan Fichtl (52), im Hauptberuf schreibt er für die Allgäuer Zeitung Lokalberichte, steuert die Baumstamm-Konstruktion dank des 40-PS-Motors am Heck aber schnell in ruhigeres Fahrwasser. Die Flößerei hat hier Tradition: In früherer Zeit kamen über den Lech Baumstämme aus Tirol nach Lechbruck. Dort wurden die Flöße mit Lechbrucker Sandstein beladen, um bis nach Regensburg transportiert zu werden. Heute kann man das Lechfloß mieten, für Ausflüge oder Hochzeiten.

Zurück im Sattel, zeigt das Allgäu ursprüngliche Natur in voller Pracht. Aus dem Birnbaumer Filz recken mehrere hundert Jahre alte Moorföhren ihre langnadeligen Kronen empor, die sauren Wiesen schmücken sich mit weiß-gelben Mustern aus Wollgras und Trollblume. Dann taucht sie auf, mitten im hügeligen Grün: die Wieskirche. Bayerns Wallfahrts-Schönheit würde fast wie vom Himmel gefallen wirken in dieser einzigartigen Naturlandschaft, wenn nicht die Touristenströme, parkende Autos und Busse eine viel profanere Geschichte erzählen würden.

Und dann geht’s zum zweiten Mal an diesem Tag aufs Wasser. In Rosshaupten nimmt die MS Füssen Mensch und Radl auf. Während das Schiff durchs tiefgrüne Wasser des Forggensees Füssen entgegenpflügt, drängt sich linker Hand bald das touristische Wahrzeichen des Allgäus, ja Bayerns und Deutschlands überhaupt, in den Blick: Schloss Neuschwanstein, Lust und Last des touristischen Füssens. Radreisende und Wanderer erschließen sich aber viel mehr: eine königliche Landschaft mit drei Höhenlagen und den einen oder anderen der 35 Badeseen im Umkreis von 50 Kilometern. Und wer will, kann sich im Stadtmuseum von Lauten und Geigen aus vier Jahrhunderten von der Geschichte Füssens als Stadt der Lauten- und Geigenbauer erzählen lassen.

Am Falkenstein um jedes einzelne Watt frohSchlössertour zu Alpsee und Pindar-Platz: Durchs Ranzental geht es am Ende ganz schön steil den Falkenstein hinauf. Wer elektrischen Rückenwind zur Verfügung hat, ist auf dem Weg hinauf auf 1268 Meter froh um jedes einzelne Watt. Oben wartet Deutschlands höchste Burgruine – und ein grandioser Blick 400 Meter über dem Talgrund, wo sich dem Gipfelstürmer Hopfen-, Forggen- und Weißensee als Ensemble zeigen. Im Burghotel gibt’s die ersehnte Erfrischung. Nach der Abfahrt lockt ein Abstecher zum Alpsee mit dem Pindarplatz. Auf der Klippe hoch über dem tiefgrünen Wasser soll König Maximilian II. den griechischen Dichter gelesen haben. Heute ist den meisten Pindarplatzbesuchern die grandiose Komposition von Natur und Schloss Neuschwanstein des königlichen Vergnügens genug.

INFORMATIONEN

Die Schlossparkradrunde im Allgäu ist 219 Kilometer lang, aufgeteilt in fünf Abschnitte und gilt als Qualitätsradroute der Radreiseregion, vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) mit fünf Sternen ausgezeichnet. Sie ist Teil der rund 450 Kilometer langen Radrunde Allgäu.

Bett&Bike: Gepäck wird auf Wunsch von einer Unterkunft zur nächsten transportiert (Bus- und Taxiunternehmen Kößler aus Füssen und Partner). www.schlosspark.de

Martin J. Freund leitet die Sportredaktion der Passauer Neuen Presse. Er radelte auf Einladung des Tourismusverbands Ostallgäu durch die Schlosspark-Region.