Palm Springs: Architektur unter Palmen

13.02.2015 | Stand 13.02.2015, 14:22 Uhr

Als würden sie aus der Landschaft wachsen: Häuser im Stil des Desert Modernism, wie hier Edris House, zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit der Umgebung verschmelzen. Ein fließender Übergang zwischen außen und innen gehört zum Konzept. − Fotos: Sascha Rettig

Elvis hat das Gebäude verlassen. Vor beinah 50 Jahren schon, irgendwann in den späten 1960er Jahren, nachdem der damals frisch vermählte King of Rock’n’Roll ungefähr ein Jahr lang mit Priscilla im "House of Tomorrow" in Palm Springs gelebt hatte. Trotzdem geistert Elvis bis heute durch die Räume der Architektur-Extravaganz: Zwischen Leopardensofa und tonnenweise Elvis-Memorabilia lassen sich heutzutage Touristen durch die Wohn-, Schlaf- und Gästezimmer des "Honeymoon Hideaway" führen. Man sieht, wo er einst in den Pool sprang und zur Toilette ging, in welchem Bett er seine Flitterzeit verbrachte und wie fortschrittlich die Küche war, in der er vermutlich nie selbst gekocht hat.

Obwohl die meisten auch genau wegen der Elvis-Erinnerungen kommen, ist eigentlich die Architektur die viel größere Attraktion: eigenwilliger Retro-Futurismus, 1962 von William Krisel nach einem Grundriss mit vier Kreisen und ohne einen eckigen Raum erbaut, mit einer halbrunden und in Altrosa gefassten Fensterfront, die über der Hecke zu schweben scheint, und einem Dach, das sich wie dünne Tragflächen eines Fliegers darüberlegt.

"Ich glaube, ich habe gerade ein Raumschiff gesehen", soll Elvis gesagt haben, als er zum ersten Mal das Haus sah, das sicherlich zu den außergewöhnlichsten Gebäuden der Wüstenstadt gehört. Dennoch gibt es in Palm Springs noch uferlos mehr zu entdecken von der sogenannten Mid-Century-Architektur, die Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstand – und die will Robert Imber bei einer seiner "Modern Tours" erklären.

Der Treffpunkt ist am Ortseingang, unter dem schattenspendenden Dach der Touristeninformation, die früher mal eine Tankstelle war und daher die übliche Zweckarchitektur vermuten ließe. Doch weit gefehlt: Die 1965 von Albert Frey entworfene "Tramway Gas Station" sticht schon von weitem durch ihre kühne Dachkonstruktion ins Auge, die so einfach wie formschön in den Wüstenhimmel piekst. "Das war keine Tankstelle für deinen Großvater", sagt der Mittsechziger Robert Imber mit etwas zu kleinem Hut, aber großem Enthusiasmus. "Das war etwas Aufregendes!" Heute ist das Gebäude das Portal für eine Zeitreise in die 1950er und 1960er Jahre.

Nähe zu Hollywood war von Vorteil für die PromisDamals war Palm Springs eine Boomtown. Denn während in den 1920ern und 1930ern nur wenige Menschen dauerhaft dort lebten, entdeckten im Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegs-USA unzählige Berühmtheiten die palmengesäumte Kleinstadt mit Sonnengarantie als Rückzugsort: Frank Sinatra, Clark Gable, Judy Garland, Kirk Douglas, Liberace, Sonny und Cher – die Liste ließe sich fortsetzen. "Abgeschirmt vor neugierigen Blicken und Fotografen, konnten sie hier unter sich bleiben", erzählt Robert Imber. "Ideal war dabei auch die Nähe zu Los Angeles, weil viele Stars Verträge hatten, wonach sie nicht mehr als hundert Meilen von Hollywood entfernt sein durften, um gegebenenfalls innerhalb eines Tages am Set sein zu können."

In dieser glamourösen Zeit entwickelte sich Palm Springs zum Experimentier-Spielplatz für teils namhafte Architekten wie Richard Neutra oder John Lautner, der einst das wie ein UFO am Berghang liegende Elrod House errichtete, in dem der Bond-Film "Diamantenfieber" gedreht wurde. "Inspiriert vom Bauhausstil, wollten die Architekten hier eigene Projekte realisieren und mochten es neu und aufregend", sagt Robert Imber, als er am von Stewart Williams 1953 erbauten Edris House stoppt. "Das Dach liegt wie falsch herum auf dem Haus – sehr avantgarde. Es sieht aus, als würde es aus der Landschaft herauswachsen."

Offenheit, einfache Formen, klare Linien und ein fließender Übergang zwischen außen und innen gehörten in der Regel zum Konzept – selbst wenn man im Haus war, sollte es sich anfühlen, als stehe man draußen. Oft öffneten breite Panoramafenster den Blick in die karge Landschaft und auf die umliegenden Berge. Teils wurden Materialien aus der direkten Umgebung mitverbaut. Steht man vor den Häusern, fügen sie sich in die Landschaft ein, manchmal verschwinden sie regelrecht zwischen Sand, Gestein, Riesenkakteen und Palmen. "Wenn man versucht, die Wüste zu kontrollieren, kann sie einen regelrecht auffressen", sagt Robert, der zwar kein Architekt ist, aber eine Liebe dafür hat. "Man muss der Wüste zuhören, dann ist es perfekt."

Gerade fährt er im Schritttempo durch ein Wohngebiet, wo sich die Mid-Century-Häuser aneinanderreihen. Als der Desert Modernism zum Trend wurde, ging er durch die Alexander Company schließlich sogar in Serie. Zwischen 1955 und 1965 bauten George Alexander und sein Sohn Robert ganze Stadtviertel und allein mehr als 2000 der sogenannten Alexanders, die an der Zwillingspalme im Vorgarten leicht zu erkennen sind.

Doch auch öffentliche Gebäude wurden in dem Stil entworfen. Die Aerial Tramway Valley Station etwa, von der die Gondeln im Chino Canyon bis auf 2600 Meter Höhe fahren, das Flughafenterminal und das Rathaus, bei dem zwei hohe Palmen durch ein kreisrundes Loch im Dach in den Himmel ragen. "Es ist ein Paradies, ein absolutes Paradies", sagt Robert Imber mit einer Begeisterung, die ansteckend ist. "Überall wo man hingeht, gibt es mehr – es ist endlos."

Wirtschaftskrise konservierte ArchitekturDiese große Sammlung des einst neuen Architekturstils konnte allerdings nur mit viel Glück die Zeit überdauern und Palm Springs zum Open-Air-Museum machen – ausgerechnet deshalb, weil die Stadt in den 1970er Jahren plötzlich in Vergessenheit geriet. "Damals brach die Wirtschaft ein, es gab die internationale Ölkrise, wenig Tourismus und wenig Geld", erklärt Imber. "Zehn Jahre später gab es wieder Geld, aber nicht in Palm Springs." Stattdessen wurden Ortschaften östlich von Palm Springs ausgebaut und modernisiert. Zunächst dämmerten viele Mid-Century-Gebäude einem traurigen Schicksal entgegen. Erst Ende der 1980er, Anfang der 1990er entdeckten Designer die Häuser in Palm Springs, richteten einige wieder her und setzten so den zweiten Boom der Stadt in Gang.

Die "Tramway Gas Station", die Ende der 1980er pink bemalt und wenig später geschlossen war, wurde von zwei Frauen aus San Francisco vor dem Abriss gerettet. Damals wurde sie erst in eine Kunstgalerie umgewandelt, später aber an die Stadt verkauft, die ein Besucherzentrum daraus machte. Auch das ikonische Kaufmann House, das Richard Neutra 1946 entwarf und dafür vor allem Naturstein, Glas, Stahl verwendete, stand einige Zeit leer, bis es von der Architekturhistorikerin Beth Harris und ihrem damaligen Mann gekauft und saniert wurde. Erst kürzlich wurde das Haus, dessen oberes Stockwerk mit wenigen Wänden wie eine Terrasse aussieht und trotzdem als normaler Wohnraum genutzt wird, für 16 Millionen Dollar versteigert. Die Nachfrage nach Mid-Century-Architektur ist mittlerweile hoch – auch bei Stars wie Leonardo DiCaprio, der sich für fünf Millionen Dollar ein von Donald Wexler designtes Haus kaufte.

"Dank des Modernism ist der Glamour nach Palm Springs zurückgekehrt", sagt Robert Imber. Im Laufe der Tour erzählt er, dass es so etwas wie einen Club in Palm Springs gäbe, der nach ihm benannt ist – der "Gib-Robert-Imber-die-Schuld"-Club für diejenigen, die sich durch seine Tour auch in die Stadt verliebt haben. Und tatsächlich ist spätestens nach ein paar Stunden mit Robert Imber die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man sich im Internet nach Mid-Century-Immobilien in Palm Springs umschaut.

INFOÜBERNACHTEN: Das persönliche Hotel California, nur für Erwachsene ohne kleine Kinder, ist eine komfortable Oase im spanischen Stil. Die Zimmer verteilen sich um den Garten mit Pool und Whirlpool herum. Getränke und Snacks sind im Übernachtungspreis enthalten, www.palmspringshotelcalifornia.com.

MUSEUM: Das Palm Springs Art Museum hat der architektonischen Stilrichtung Desert Modernism jetzt ein eigenes Architecture and Design Center gewidmet. Im November 2014 hat es im Edwards Harris Pavilion, einer ehemaligen Niederlassung der "Santa Fe Federal Savings & Loan", seine Pforten geöffnet. Das seit kurzem unter Denkmalschutz stehende Gebäude ist dafür umfangreich saniert worden. Der Edwards Harris Pavilion ist ein etwa 1200 Quadratmeter großes Glas-Stahl-Gebäude. Es entspricht der klassischen Mid-Century-Modern-Architektur. Im Erdgeschoss befindet sich die Galerie für Architektur- und Design-Ausstellungen. Die untere Ebene dient als Studienzentrum. Zudem sind hier Tagungsräume, www.psmuseum.org/architecture-design-center.

BESICHTIGUNGEN: Palm Springs Modern Tours, 001/(0)760/3186118, www.palmspringsmoderntours.com; Elvis Honeymoon Hideaway, 001/(0)760/3221192, www.elvishoneymoon.com.

AUSKUNFT: www.visitpalmsprings.com, www.palm-springs.de, www.psmodcom.org.

Sascha Rettig ist freier Reisejournalist aus Berlin. Er reiste auf eigene Faust.