Baumwollanbau in Indien: Der Fluch des weißen Goldes

28.11.2014 | Stand 28.11.2014, 17:19 Uhr

Noch nicht ganz ausgereift ist diese Baumwollknospe. Sobald sie aufplatzt, kann die watteähnliche Faser geerntet werden.

Ein Drittel der weltweiten Anbaufläche für Baumwolle liegt in Indien. Das Land ist der zweitgrößte Exporteur des Rohstoffs. Doch Baumwolle ist Fluch und Segen für das Land zugleich. 95 Prozent der indischen Baumwolle sind genmanipuliert. Die sogenannte Bt-Baumwolle soll auch für die hohen Selbstmordraten vor allem unter Kleinbauern verantwortlich sein.

Ravy Babarao Bonde und seine Familie kommen gut mit dem Baumwollanbau aus. Auf seinem zwei Hektar großen Feld am Rande des Dorfes Kakda baut der Kleinbauer zusammen mit seinem Bruder Kishor den Rohstoff an. Ihre Frauen helfen mit, die Kinder können zur Schule gehen. Seit fünf Jahren pflanzt der 36-Jährige im zentralindischen Distrikt Amravati im Bundesstaat Maharashtra gentechnisch verändertes Saatgut, denn er ist überzeugt: "Bt-Baumwolle bringt mehr Ertrag und ist geschützt gegen den schädlichen Baumwollkapselwurm."

Mehr Pestizide wegen transgener BaumwolleDie heftig umstrittene transgene Baumwolle wird größtenteils in Maharashtra angebaut. Auch Ravy weiß um die Schattenseiten der grünen Gentechnik: "Mittlerweile muss ich mehr Pestizide verwenden als vorher. Außerdem haben andere Schädlinge, vor allem Sauginsekten, zugenommen." Zudem kann er das Saatgut nicht nachzüchten und muss daher jedes Jahr neuen Samen von indischen Firmen wie Ajeet Seeds Ltd. oder Nuziveedu Seeds Ltd. kaufen. Diese wiederum zahlen Lizenzgebühren an den amerikanischen Saatgutkonzern Monsanto, der das Monopol hält. Dadurch wird die Baumwollsaat für die indischen Kleinbauern sehr teuer. Ravy räumt ein: "Ich zahle ungefähr dreimal so viel für Bt-Saat wie für herkömmliche indische." Damit geht der Familienvater ein hohes Risiko ein. Doch er pokert um lukrative Gewinne. Unter idealen Bedingungen kann Bt-Baumwolle fünfmal so viel Ertrag wie traditionelle Sorten bringen, nämlich 2500 Kilogramm je Hektar statt nur 500 Kilogramm. Fällt in einem Jahr die Ernte schlechter aus, können sich Bauern jedoch kein neues Saatgut leisten, müssen Kredite aufnehmen und verschulden sich.

Nivedita Varshneya, Länderbeauftragte der Welthungerhilfe Indien, kritisiert Monopole auf Saatgut daher scharf: "Wir müssen die Biodiversität erhalten. Es darf keine Patente auf Saatgut geben. Monsanto und andere multinationale Unternehmen haben zu viel Einfluss, auch auf die Regierung." Auch den exzessiven Gebrauch von Chemikalien und künstlichem Dünger findet sie bedenklich: "Die Welthungerhilfe wirbt für nachhaltige ökologische Landwirtschaft und einen sinnvollen Umgang mit Agrochemie beziehungsweise für die Herstellung von eigenem Dünger." In diesem Zusammenhang sei vor allem die hohe Verschuldung der Bauern besorgniserregend. Nivedita Varshneya spitzt es zu: "Die extreme Verschuldung ist der Grund für die Selbstmorde."

Hochverschuldete Bauern bringen sich umDr. Peter E. Kenmore, Vertreter der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, sieht das ähnlich: "Es bringen sich nicht die ärmsten Bauern um, sondern diejenigen, die sich zu hoch verschuldet haben und die horrenden Kredite bei Ernteausfällen nicht zurückzahlen können." Ein Drittel der Selbstmorde wird durch das Trinken von Pestiziden herbeigeführt. Kenmore betont: "Deshalb müssen die giftigsten Pestizide verboten werden. Aber wir müssen auch die Gründe für die Selbstmorde bekämpfen."

Indiens neuer Premier Narenda Modi kündigte bereits ein Projekt an, das auch den ärmsten Indern Zugang zu einem Bankkonto ermöglichen soll. Dadurch könnten Kleinbauern effektiver sparen und bezahlbare Kredite aufnehmen. Derzeit haben laut der Weltbank 73 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu geregelten Krediten und sind daher auf dubiose Geldverleiher angewiesen.

270.000 indische Baumwollbauern haben sich in den vergangenen 20 Jahren umgebracht. Ein Problem, das die indische Regierung mittlerweile erkannt hat. Die Gründe dafür sind jedoch umstritten. Neoliberale Reformen, Monsunausfälle, zu hohe Verschuldung sowie gentechnisch modifiziertes Saatgut werden als mögliche Ursachen genannt. Bt-Baumwolle kam 2002 auf den indischen Markt. Seither sind die Selbstmorde erneut leicht angestiegen, vor allem in Maharashtra. Dennoch kann der Zusammenhang zwischen genmanipulierter Baumwolle und Selbstmorden von Bauern nicht eindeutig nachgewiesen werden und wird in verschiedenen Studien abgestritten.

Die UN und NGOs helfen KleinbauernUnumstritten ist hingegen, dass die Lage von Kleinbauern, nicht nur in Indien, oft prekär ist. Daher setzt sich der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, im diesjährigen Internationalen Jahr für familienbetriebene Landwirtschaft besonders für die Belange von Bauern mit weniger als zehn Hektar Land ein. Durchschnittlich bewirtschaftet ein indischer Kleinbauer 1,16 Hektar.

Auch Ravy Babarao Bonde profitiert schon länger vom IFAD, der durch regionale Organisationen wie CAIM (Convergence of Agricultural Interventions in Maharashtra’s Distressed Districts Project) Kleinbauern im Bundesstaat Maharashtra unterstützt. CAIM bietet den Bauern dort in sechs besonders armen Distrikten landwirtschaftliche Schulungen und Informationen zu profitableren und nachhaltigeren Anbaumethoden wie dem sparsameren Einsatz von chemischen Düngemitteln und Pestiziden an. Langzeitstudien belegen, dass transgene Baumwolle dem Boden auf Dauer Nährstoffe entzieht und viel mehr Wasser benötigt als herkömmliche. Ravy Bonde Baumwollfeld liegt in einer semi-ariden Gegend, das heißt, die meiste Zeit im Jahr herrscht hier Trockenheit, in den Sommermonaten ergießt sich normalerweise der Monsun über die Landschaft. Doch der Niederschlag fällt immer geringer aus. So auch dieses Jahr. Aber Ravy Bonde ist wegen der Informationen und Hilfestellungen durch das CAIM-Projekt nicht allein auf den Segen des Monsuns angewiesen. Dank seines Tröpfchen-Bewässerungssystems kann er wie in diesem Jahr dem späten Monsun entgegenwirken.

Von der Genossenschaft profitieren die BauernCAIM hilft den Kleinbauern auch dabei, auf dem Markt gegen größere Unternehmer bestehen zu können. Gemeinsam mit 54 anderen Baumwollbauern aus insgesamt 25 Dörfern hat Ravy vor eineinhalb Jahren die "Joint Cotton Initiative" gegründet. Bald wird daraus eine Genossenschaft entstehen, die den Bauern eine bessere Verhandlungsposition ermöglichen soll. Der anerkannte Meinungsführer der Bauern, Pater K. P. Jose, erklärt: "Durch die Genossenschaft wollen die Bauern gemeinsam Saatgut und Dünger kaufen. Dadurch wird es billiger. Außerdem können sie ihre Baumwolle direkt an die Baumwollspinnerei verkaufen und brauchen keine Mittelsmänner mehr. Das ermöglicht einen höheren Profit." Der katholische Priester wird ungeachtet seines Glaubens in den Dörfern geschätzt, arbeitet mit CAIM zusammen und konnte die Bauern von den Vorteilen der Genossenschaft überzeugen.

Normalerweise bringen die Bauern ihre Baumwolle zu einer Entkernungsanlage, danach schaltet sich ein großer Zwischenhändler ein, um die Rohbaumwolle an die staatliche Finlay Baumwollspinnerei in Achalpur weiterzuverkaufen. Dort werden die watteähnlichen gereinigten Baumwollfasern durch mehrere Streck- und Drehvorgänge zu feinen stabilen Fäden gesponnen. Große Baumwollspinnereien wie Finlay Mills nehmen jedoch nur gesammelte Baumwollmengen von mindestens 350 Hektar Land ab. Ein einzelner Kleinbauer kann das nicht leisten. Doch die Genossenschaft kommt auf 800 Hektar. Genug, um sich auf dem brutalen Baumwollmarkt zu behaupten.

LESETIPPDas Magazin "Indien verstehen" der Reihe "Sympathie-Magazine" umfasst viele Aspekte des südasiatischen Landes und seiner Bevölkerung. Das Magazin gibt bunte Einblicke in verschiedenste Themen. Dabei wird dem Leser auch Ernsteres wie die Geschichte, Gesellschaft und Politik Indiens nähergebracht. Der seit 25 Jahren in Indien lebende Rainer Hörig beleuchtet beispielsweise in seinem Artikel "Das soziale Experiment" auf kritische, aber unvoreingenommene Weise das Kastensystem Indiens. Der Artikel "Mein Freund, der Elefant" dagegen zeigt, wie tiefgreifend die Beziehung der Inder zu den Dickhäutern ist. Aber auch Themen wie Spiritualität, Küche und Mythologie kommen nicht zu kurz. So wirft Malini Shankar im Artikel "Wo der Pfeffer wächst" einen Blick auf die Küchentradition Indiens und die Gewürze, die die indische Küche ausmachen. Das Magazin enthält mehr als 30 Artikel, die teils von einheimischen, teils von europäischen Autoren verfasst wurden. Das Magazin möchte, wie der Titel schon sagt, helfen, dieses ferne Land zu verstehen. Die verschiedenen Eindrücke aus "Indien verstehen" setzen sich für den Leser zu einem so detailreichen Bild zusammen, dass das schmale Buch seinen Zweck mehr als erfüllt (Rainer Hörig: "Indien verstehen", Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e. V., 82 Seiten, ISBN 978-3-9816489-2-8, 4 Euro).

Astrid Ehrenhauser, Stipendiatin der Passauer Neuen Presse, reiste auf Einladung der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen e.V. im Rahmen des Internationalen Jahres für familienbetriebene Landwirtschaft 2014 der UN nach Indien.