Indien: Als Frau im Land der Männer

17.10.2014 | Stand 17.10.2014, 12:51 Uhr

Seit zweieinhalb Jahren bauen diese Inderinnen auf 1,5 Hektar großen Feldern am Rande ihres Dorfes Sindi Vihir Blumen an. Ein lukratives Geschäft, durch das sie unabhängiger von ihren Ehemännern wurden und die Schulbildung ihrer Kinder bezahlen können. Finanzielle und fachliche Hilfe bekamen sie bei ihrem Projekt von CAIM, einem regionalen Programm, das vom Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) der Vereinten Nationen unterstützt wird. − Fotos: Astrid Ehrenhauser

Sie wollte ihn unbedingt heiraten. Bharati Dehariya war 15 Jahre alt und begeistert von dem 38-Jährigen. Dass ihre Eltern gegen die Ehe waren, interessierte sie nicht. Ein halbes Jahr nach der Hochzeit begann ihr Mann, sie zu schlagen. Täglich. Sieben Jahre erduldete die heute 26-Jährige seine Gewaltausbrüche, litt leise unter seinem "zornigen Charakter", wie sie es nennt.

Gewalt gegen Frauen ist in Indien an der Tagesordnung. Grauenhafte Fälle von Vergewaltigungen machen weltweit Schlagzeilen. Innerhalb der Ehe ist Vergewaltigung rechtlich keine Straftat. Die indische Frau ist kaum etwas wert. Hunderttausende weibliche Föten werden jährlich abgetrieben. Eine horrende Mitgift für Mädchen bedeutet für viele arme Familien vor allem auf dem Land den Ruin. Die patriarchalische Gesellschaft benachteiligt und unterdrückt ihre Frauen.

Für Bharati war der soziale Druck größer als die körperlichen Misshandlungen durch ihren Ehemann. "Ich hatte keine Alternative und Angst davor, was die Leute im Dorf sagen könnten." Schnell und gefasst spricht sie auf Marathi, der Amtssprache im west- und zentralindischen Bundesstaat Maharashtra.

"Mein Mann schlägt mich jetzt seltener"

Erst 2011, als sie zusätzlich große Probleme mit ihrer Schwägerin bekam, wagte Bharati es, zu einer Beratungsstelle zu gehen. Die Mitarbeiterinnen dort halfen ihr. Während mehrerer Besuche bei ihr zu Hause sprachen sie mit Bharatis Ehemann, übten Druck auf ihn aus und registrierten den Fall bei der Polizei. Mittlerweile arbeitet Bharati selbst seit zwei Jahren in dem Beratungszentrum für misshandelte Frauen in der Nähe von Nagpur. Sie erklärt: "Ich will anderen Frauen helfen." Was sie hier verdient, steckt sie in die Schulbildung ihrer beiden Töchter. Mit der Situation daheim ist sie zufrieden: "Mein Mann schlägt mich jetzt seltener." Für Vijaya Shah ist das ein positives Ergebnis: "Frauen in Indien tolerieren Gewalt sehr oft. Häusliche Gewalt gibt es in jeder Gesellschaftsschicht. Männer sehen Frauen als ihren Besitz." Vijaya Shah ist Projektmanagerin der deutsch-indischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Ecumenical Sangam, die neben Ausbildungsinitiativen und Umweltprojekten seit 2006 auch die Beratungsstelle für misshandelte Frauen betreibt. Das ausdrückliche Ziel: "Die Familie soll nicht zerbrechen. Wir bemühen uns sehr, dass wir die Ehe aufrecht erhalten. Leider hören nur etwa 40 Prozent der Männer ganz auf, ihre Frauen zu schlagen."

Solche Initiativen auf lokaler Ebene sind wichtig. Täglich kommen drei bis vier Frauen zu dem offenen Betonhäuschen mit den weißen Plastikstühlen, sitzen mit dem Rücken zur Straße und schütten ihr Herz aus. Direkt nebenan liegt die Polizeistation. "Wir hätten lieber einen geschlossenen Raum, aber der Bau ist problematisch, und es geht nur langsam voran", erklärt Vijaya Shah.

Langsam schreitet auch die Emanzipation der indischen Frau voran. Obwohl das Land einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufschwung hinter sich hat und mittlerweile international erfolgreich in der IT-Branche mitmischt und obwohl die Verfassung formell Gleichberechtigung garantiert, sind Frauen in Indien Menschen zweiter Klasse. Im Gegensatz zu 75 Prozent der Männer kann nur die Hälfte der weiblichen Bevölkerung lesen und schreiben. Frauen besitzen nur selten Land, vor allem in ländlichen Gebieten können sie weder erben noch ohne Weiteres Land erwerben. Rechtlich sind sie oft abhängig von ihren Ehemännern. Sie arbeiten vor allem in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Dort sind sie um einiges schlechter bezahlt, haben weniger Entscheidungsgewalt, kaum Zugang zu Krediten und schultern neben der harten Arbeit auf den Feldern zusätzlich die Hausarbeit. Im Schnitt arbeitet eine indische Frau auf dem Land 30 Stunden unbezahlt im Haushalt – neben ihrer Vollzeittätigkeit in der Landwirtschaft. Schon junge Mädchen müssen daheim mithelfen, ihre Schulbildung leidet darunter.

Dr. Rajeswari Raina vom indischen Nationalen Institut für Wissenschaft, Technologie und Forschung (NISTADS) arbeitet als Landwirtschaftsexpertin für die Welthungerhilfe. Sie kritisiert die Mangelernährung, die neben Kindern vor allem Frauen zu schaffen macht: "Mehr als 80 Prozent der indischen Frauen sind anämisch und haben starken Zink- und Eisenmangel." Dr. Rajeswari Raina betont: "Es muss mehr Fokus auf die Frauen in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft gelegt werden. Ihre Interessen kommen zu kurz. Wenn Frauen aufgeklärt werden und entscheiden können, kümmern sie sich viel eher um den Anbau von qualitativ hochwertigen und nahrhaften Lebensmitteln."

Der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, unterstützt daher Organisationen vor Ort, die Selbsthilfegruppen für Frauen ins Leben rufen, ihnen Kredite vermitteln und sie beraten. Dabei bekommen Frauen beispielsweise Geräte an die Hand, mit denen sie ansonsten zeitraubende und anstrengende Arbeiten wie das Reinigen von Hülsenfrüchten viel schneller verrichten können. Außerdem helfen Initiativen, wie CAIM in der Vidharba-Region in Maharashtra, den Frauen dabei, Selbsthilfegruppen zu gründen, um sich gegenseitig zu unterstützen – finanziell und sozial. Dabei geht es vor allem darum, Frauen in der Gemeinschaft zu stärken und ihnen eine bessere Verhandlungsbasis zu schaffen. Sie sollen etwa Miteigentümerinnen ihres Hauses und der Felder werden.

UN fordert Strafen für Vergewaltigung in der Ehe

Die Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen (CEDAW) fordert außerdem schärfere Gesetze, um Frauen besser zu schützen, Gewalttaten gegen sie härter zu bestrafen und beispielsweise Vergewaltigung innerhalb der Ehe als Straftat zu verfolgen.

Nicht nur für Inderinnen bedeuten die sozialen Strukturen des Landes eine extreme Benachteiligung, auch westliche Touristinnen sollten in Indien einige Verhaltensregeln beachten, vor allem, wenn sie individuell reisen. Selbstverständlich sollten sich Frauen angemessen kleiden: weite T-Shirts und Hosen, die Schultern und Knie bedecken, kein tiefes Dekolleté. Am besten trägt man immer einen leichten Schal (indisch: Dupatta) bei sich, um ihn jederzeit um die Schultern schlingen zu können. Das dient dem eigenen Wohlbefinden, denn indische Männer starren westliche Touristinnen oft hemmungslos an. Sie blicken dabei meist recht finster drein und fotografieren weiße Frauen völlig ungeniert.

Als Frau in Indien sollte man daher selbstbewusst auftreten, den einheimischen Männern weder direkt in die Augen schauen noch freundlich lächeln – all das kann als sexuelle Aufforderung verstanden werden. Es ist außerdem nicht ratsam, in überfüllten Bussen zu reisen, Inder werden dort Touristinnen gegenüber schnell aufdringlich. Inderinnen sieht man wenige auf den Straßen, vor allem auf dem Land. Generell sollte man sich lieber in touristisch erschlossenen Gebieten aufhalten, in ländliche Regionen besser nur mit Reisegruppen fahren. Dass es nicht sicher ist, im Dunkeln alleine draußen unterwegs zu sein, versteht sich von selbst. Ansonsten gilt die bewährte Königsregel des Reisens: Gesunde Vorsicht walten lassen, sich aber auch einfach mal entspannt zurücklehnen und nicht überall Gefahren vermuten.

Astrid Ehrenhauser, Stipendiatin der Passauer Neuen Presse, reiste auf Einladung der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen e. V. im Rahmen des Internationalen Jahres für familienbetriebene Landwirtschaft 2014 der UN nach Indien.