Urlaubsland Türkei erklimmt neue Höhen

19.04.2014 | Stand 19.04.2014, 6:00 Uhr

Wer einen guten Aussichtspunkt erobern kann, bekommt einen tollen Blick auf die Berge des Taurusgebirges. − Foto: Christian Schreiber

Vom Felsen hoch über Antalya grüßt Mustafa Kemal Attatürk, der Begründer der modernen Türkei. Weil es nicht so recht funktioniert hat, ihn in Stein zu meißeln, hat man sein Gesicht kurzerhand aus Pappmaché nachgeformt und auf ein Gerüst gespannt. Jetzt ist er eine Art Sinnbild für die Problemlösungslogik am türkischen Mittelmeer: Was sich die Menschen dort einmal in den Kopf gesetzt haben, das wird auch durchgezogen. Manchmal muss man nur neue Wege beschreiten, ein paar Klippen umschiffen und den ein oder anderen Kompromiss eingehen.

Gute Voraussetzungen also für das neue Tourismusprojekt von Antalya, das hauptsächlich auf sportlich-aktive und naturverbundene Deutsche setzt: Wanderer aus "Almanya" sollen ihre bunten Rucksäcke durch das weitläufige Taurusgebirge tragen, Einheimische besuchen und das Hinterland beleben. Politik und Wirtschaft haben gemerkt, dass die Sommer-Sonne-Strand-Sause in die Sackgasse führt. Zwar bringen elf Millionen Badegäste pro Jahr gutes Geld in die Kassen, aber die Küste ist gnadenlos verbaut, und die Einheimischen verlassen ihre Dörfer, um in den Bettenburgen zu arbeiten, die unglaubliche 500.000 Schlafplätze bereithalten.

Helfen soll dabei der DAV Summit Club, der Reiseveranstalter des Deutschen Alpenvereins. Er betreibt Aufbauhilfe mit Ausrüstung und Ausbildung. Seit kurzer Zeit kommen nun auch Gruppen, die in Tagesetappen die "Taurus-Trails" erkunden, um Berge wie den Olympos oder den Kizlarsivrisi, den "Mädchengipfel", zu besteigen. Eine gute Basisstation für Letzteren ist das fruchtbare Hochtal rund um Elmali, das seinen Namen von den runden Äpfelchen hat, die dort neben Kirschen, Trauben, Erdbeeren oder Tomaten geerntet werden. Wer im Frühjahr unterwegs ist, erlebt eine kitschig-bunte Blütenpracht, muss aber im Hochgebirge – schließlich erreichen die Gipfel die 3000-Meter-Marke – auch mit Schnee rechnen. Deswegen hat die Wandergruppe sogar Schneeschuhe eingepackt.

Mit Bergführer Ömer ins HochgebirgeMit letzter Kraft krallen sich vereinzelte Wacholderbäume an die Felsen. Der Wind hat aus ihnen bizarre Gesellen gebürstet, trotzdem stellen sie mit ihren dicken Stämmen noch imposante Erscheinungen dar. Da passt Führer Ömer perfekt ins Bild: 1,90 Meter geballte türkische Urkraft mit dickem schwarzem Haar, bärenhaften Pranken und Schuhgröße 49. Wer nicht weiß, dass die Fußstapfen im Schnee von ihm stammen, muss es mit der Angst zu tun bekommen. Dabei ist der 60-Jährige in Wahrheit ein liebenswürdiger Teddybär, der Blumen fotografiert, Schafe streichelt und Damen höflich den Fels hinaufhilft.

Und er ist ein Glücksfall für den Alpenverein, denn er kennt jeden Weg und jeden Berg ringsum. "Ich bin Alpinist seit 46 Jahren", sagt Ömer stolz. Wenn ihm Zahlen auf Englisch nicht einfallen und kein Übersetzer in der Nähe ist, dann malt er sie einfach mit seinem Wanderstock in den matschigen Boden. Ömers Vater war als Postbote tagelang in den Bergen unterwegs, nahm irgendwann auch den Sohn mit, und der lernte später als Fernleitungstechniker die übrigen Berge der Türkei kennen. Im Auftrag des Alpenvereins bildet er nun türkische Reiseleiter zu Bergführern aus. Ömer als Supervisor, Spurensucher und Spürnase.

Ömer führt die deutschen Wanderer auch mal zu Nomadenfamilien, damit sie einen Eindruck bekommen, wie wenig zum Leben eigentlich nötig ist. Die Gruppe kommt an solch einem Lagerplatz vorbei, sieht aber nur die Pfosten der Viehzäune aus dem Schnee ragen. Um diese Zeit hält sich noch niemand im Gebirge auf, andere Wanderer sind auch nicht zu sehen. Das ändert sich auch später im Jahr nur unwesentlich. Wer Ruhe sucht, sollte hier auf Tour gehen und den "Lykischen Weg", die offizielle Fernwanderroute durch das Taurusgebirge, meiden.

Nächster Schritt: die BeschilderungDie Einsamkeit ist natürlich auch mangelnder Infrastruktur geschuldet. Wanderer finden keine Wegweiser auf den "Taurus-Trails", es gibt nur alte, unvollständige Karten zur Orientierung. Das wird nun die nächste Herausforderung für Yusuf Örnek sein. Der 58-Jährige ist der Motor auf türkischer Seite, ein ruhig und unermüdlich arbeitender älterer Herr mit rasiertem Kopf und randloser Brille. Er bekam von der lokalen Handelskammer den Auftrag, eine Vision für die kommenden Jahrzehnte zu erarbeiten, und formte aus den Schlagworten sanft, naturnah und nachhaltig das Wanderprojekt. Wer sich mit ihm unterhält, hört noch viel "müssten", "könnten" und "sollten", erfährt von den Kompromissen, die er eingeht, und staunt über so manche bürokratische Hürde. "Aber wir sind auf dem richtigen Weg."

Und dazu gehören weitere wichtige Komponenten, die in Örneks Unterlagen unter den Punkten Kultur und Begegnung auftauchen. Langwierige touristisch-theoretische Ansätze, die weit übers bloße Wandern hinausgehen und eigentlich nur in der Praxis zu beschreiben sind. Die deutschen Gäste erleben Ausgrabungsstätten mit jahrtausendealten Tempeln, kehren beim Biobauern und Ökowinzer ein und teilen sich Teigtaschen mit Nomadenkindern.

Bei einer Etappe landet man im Garten von Shükriye. Sie hat eine Open-Air-Küche, in der sie aus den ringsum wachsenden Zutaten ein Kräuter-Gemüse-Genuss-Menü zaubert. Man bekommt ein Messerchen, erntet Salat und Petersilie, häckselt Knoblauch und schneidet Tomaten. Ausgerechnet Spinat fehlt heute. Also ordert Shükriye bei ihrem Nachbarn, der sogleich mit einer gefüllten Plastiktüte herbeieilt. Später sitzen die Wanderer dann an langen Bänken beim Pool, der mit frischem Bachwasser gespeist wird. Shükriye schenkt eifrig die Gläser mit Rotwein voll, den sie selbst gemacht hat. Eigentlich lebt sie im Paradies, aber seit ihr Mann vor drei Jahren gestorben ist, hat sie den Mut verloren. Die Bäume, Sträucher und Pflanzen ihres riesigen Anwesens wachsen ihr über den Kopf.

Weil das Projekt "Taurus-Trails" ausdrücklich auch eine soziale Komponente verfolgt, versucht man Menschen wie Shükriye zu helfen, im besten Fall sogar zu integrieren. Und so entsandte die Jugendorganisation des Deutschen Alpenvereins eine vielköpfige Gruppe als Erntehelfer und Gärtner zu Shükriye. Gleichzeitig machten sich Studenten aus Elmali auf den Weg, so dass die Aktion auch das Label "interkulturelle Begegnung" bekam. Es soll keine einmalige Sache bleiben, zumal Shükriye ein Gästehaus mit 20 Zimmern hat, die aber leider nicht mehr ganz taufrisch sind, weil irgendwo Wasser reinläuft. Außerdem ist um das große Anwesen nach dem Tod ihres Mannes ein juristischer Streit entbrannt. Aber da haben sie in der Region Antalya schon ganz andere Probleme gelöst. Attatürk lässt grüßen.

INFOAnreisen: Zum Beispiel mit Sunexpress ab München, Nürnberg, Linz oder Salzburg nach Antalya, Retourticket ab 150 Euro, www.sunexpress.com.

Wandern: Der DAV Summit Club hat im Frühjahr und Herbst neun Wanderreisen auf den "Tauraus-Trails" im Programm, Preis ab 995 Euro für zwölf Tage, www.summit-club.de.

Übernachten: Hotel Puding Marina in Antalya, Doppelzimmer ab 70 Euro, www.pudingsuite.com; Gül Mountain Hotel in Ovacik, Doppelzimmer mit Halbpension ab 60 Euro, www.gulmountainhotel.com; Kadirs Garden Hotel in Adrasan, Doppelzimmer ab 45 Euro, www.kadirsgardenadrasan.com.

Christian Schreiber ist freier Reisejournalist aus Günzburg. Seine Reise wurde unterstützt vom DAV Summit Club.