PNP-Interview mit Viktor Orbán
"Eine neue Trennungslinie in der EU"

27.10.2017 | Stand 19.09.2023, 22:41 Uhr

Im Interview mit der Heimatzeitung spricht Viktor Orbán auch über das Verhältnis zwischen Ungarn und Deutschland: "Es gibt Meinungsverschiedenheiten – das ändert aber nichts daran, dass wir Verbündete sind." − Foto: Szecsödi Balázs

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Menschen in Europa sprach der ungarische Ministerpräsiden Viktor Orbán über die aktuelle Verfassung von Europa und die ungarische Flüchtlingspolitik.

Herr Ministerpräsident, Ungarn will ein EuGH-Urteil zur Flüchtlingsverteilung nicht akzeptieren. Zerstören Sie so nicht Europas rechtsstaatliche Funktionsweise – und damit Europa selbst?

Viktor Orbán: Sie irren. Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis. Fest steht jedoch, dass die EU-Entscheidung über die Verteilung der Migranten bis auf eines von keinem Land umgesetzt wurde. Angesichts dieser Tatsache ist es ein wenig unfair, ausgerechnet Ungarn zu kritisieren. Wenn eine Entscheidung mehrheitlich nicht umgesetzt wird, dann war vielleicht die Entscheidung falsch.

Was ist an dem Urteil so verkehrt?

Orbán: Dieses Urteil sagt nichts darüber, ob die Europäische Kommission überhaupt das Recht hat, entgegen dem Willen der ungarischen Regierung irgendjemand nach Ungarn zu verlegen. Das ist aber die entscheidende Frage. Unsere Meinung ist, dass Gebiet und Bevölkerung eines Landes Teil seiner verfassungsmäßigen Identität sind. Und diesbezüglich kann kein europäisches Organ irgendeine Verpflichtung feststellen.

Sie würden also nichts tun, um die europäische Verfasstheit zu gefährden?

Orbán: Nein, wir sind Mitglied der Europäischen Union. Und die EU beruht auf einem Grundsatzvertrag, und deshalb müssen auch wir auf dieser Grundlage stehen – und das tun wir auch.

Sehen Sie Österreich und Tschechien nach den dortigen Wahlen als neue enge Verbündete für Ihren Kurs?

Orbán: Mit Österreich haben wir ja schon immer ein enges, quasi verwandtschaftliches Verhältnis gepflegt. Mit Tschechien ist das anders. Tschechien hat keine Grenze zu Ungarn. Tschechien ist aber Teil des Bündnisses, das wir Visegrád-Staaten nennen und das – wie ich mit gebührender Bescheidenheit erwähnen muss – das erfolgreichste Bündnis und die erfolgreichste Region in Europa ist. Deshalb wollen wir auch künftig ein strategisches Verhältnis zu den Tschechen. Ich kenne den dortigen Wahlsieger. Man kann mit ihm gut zusammenarbeiten. Uns Ungarn liegen solche Spitzenpolitiker. Er ist ein Geschäftsmann, spricht Klartext, will keine Zeit verlieren – und wenn du dich mit ihm geeinigt hast, hält er sich dran. Sein Sieg freut uns also.

Ungarn geht es wirtschaftlich mittlerweile sehr gut. Was ist das Geheimnis dieses ökonomischen Erfolgs?

Orbán: Wir haben eine auf Arbeit basierende Gesellschaft aufgebaut. Ungarn verfügt wegen seiner kommunistischen Vergangenheit nicht über genügend Kapital. Deshalb mussten wir die Marktwirtschaft so aufbauen, dass wir den Schwerpunkt nicht auf Kapital, sondern auf Arbeitskraft gelegt haben. Und nach 2010 haben wir ein auf Vollbeschäftigung ausgerichtetes System geschaffen – dieses Ziel ist schon in greifbarer Nähe. Das ist das erste Geheimnis des Erfolgs. Das zweite: Wir wollen auf eigenen Beinen stehen. Wir wollen die ungarische Wirtschaft nicht mit deutschem Geld in Ordnung bringen. Deshalb haben wir auch sämtliche Schulden, die wir während des Krisenmanagements machen mussten, zurückgezahlt. Sowohl an den IWF als auch an die EU. Wir wollen nur Handel treiben, wir wollen unternehmerisch tätig sein, und wir wollen, dass man unsere Bürger arbeiten lässt. Wer vom Geld anderer lebt, ist letztlich ein Diener. Das passt nicht zum ungarischen Charakter.

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