Kabarettist im Interview
Gerhard Polt: "Es fehlt eine Art Leck-mich-am-Arsch-Gefühl"

08.06.2018 | Stand 20.09.2023, 3:19 Uhr

Das vereinnahmende "Wir" schätzt Gerhard Polt überhaupt nicht. "Vielen Menschen fehlt es leider Gottes an Skepsis", sagt der 76 Jahre alte Kabarettist aus Schliersee. − Foto: Anna-Maria Deutschmann

So spartanisch wie der Kabarettist Gerhard Polt (76) seine Auftritte bestreitet, hätte von ihm wohl keiner Innovationen der Satire erwartet. Doch nach dem Onlinevideo-Format "Auhwehzwick 2.0", das gesammelt auf Youtube zu sehen ist, hat der Mann aus Schliersee im Landkreis Miesbach jetzt ein "humoristisches E-Mail-Abo" erfunden: Wer sich auf www.polt.de anmeldet, bekommt jeden Donnerstag um 19.19 Uhr per Mail einen Ausschnitt aus Polts Programm mit dem deutsch-indonesischen Münchner Musiker Ardhi Engl unter dem Titel "Er spuit, worauf i irgendwas verzähl, und danach spuit er wieder". Wir haben uns mit Gerhard Polt über Humor, Heimat, gutes Essen und schlechte Zeiten fürs Wirtshaus am Land unterhalten.

Herr Polt, kann ein Ministerium bestimmen, was Heimat ist?
Gerhard Polt: Nein, aber die Politik will genau das. Der Heimatbegriff ist jetzt wieder angesagt. Und die Politiker springen auf den Zug auf, um sich von einer anderen Partei nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Die Politik speist sich von einem diffusen Bedürfnis nach Heimat, einer Schimäre. Konservativ sein heißt oft auch intellektuell stehenbleiben. Dabei ist Gesellschaft etwas Lebendiges, der Staat ist etwas Statisches. Der Staat kann nicht bestimmen, was Heimat oder Sprache ist. Der hat nur da zu sein, um die Lebendigkeit der Gesellschaft zu schützen oder zu verbessern.

Würden Sie im Heimatministerium arbeiten wollen?
Polt: Nicht ums Verrecken.
Politiker benutzen in diesem Kontext gerne den Begriff "Wir".
Polt: Das "Wir" kann man wunderbar instrumentalisieren. Vielen Menschen fehlt es leider Gottes an Skepsis, um immun gegen Aufforderung dieser Art zu sein – eine Art "Leck mich am Arsch"-Gefühl. Das heißt nicht, dass ich für jede Form des Asozialen offen bin. Aber es gibt bestimmte Dinge, bei denen asozial sein auch eine Leistung ist – als Verweigerungshaltung.

Haben Sie sich jemals heimatlos gefühlt?
Polt: Nein, entheimatet würde ich mich erst fühlen, wenn ich einsam wäre. Ich komme aber überall mit den Menschen in Kontakt. Selbst im Lift kann es passieren, dass ich jemanden anrede. Ich fange meistens an und frage: "So, wie schaut’s aus?" Die meisten Leute sind peinlich berührt, aber manchmal komme ich so ins Gespräch. Und dann rede ich über alles Mögliche, von Wladimir Putin bis hin zu der Tatsache, dass der Schweinsbraten schlechter geworden ist. So erfahre ich, was die Menschen beschäftigt, was sie verdienen, wie sie leben, wie sie sich durchs Leben schlagen, worüber sie sich amüsieren und welche Befürchtungen sie haben.

Polt & die Well-Brüder live u. a. am 12.7. im Festzelt Bogen, am 12.10. im Audimax Regensburg

Anmeldung zur neuen Polt-Online-Serie unter www.polt.de

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