Passau/Regen
"Spielsucht ist nicht heilbar"

24.08.2011 | Stand 26.08.2011, 7:33 Uhr

Es war offensichtlich die Spielsucht, die den Regener Landrat Heinz Wölfl (58) in den Tod getrieben hat. Der CSU-Politiker fuhr in der vergangenen Woche mit dem Auto gegen einen Baum. Er hatte angeblich hohe Spielschulden angehäuft. Mehrere Gläubiger sollen ihm Geld geliehen haben. Unabhängig vom etwaigen Fall Wölfl: Was bedeutet Spielsucht für den Betroffenen, die Angehörigen und welche Hilfen gibt es? Die PNP sprach mit dem Sucht-Experten Julius Krieg, er leitet die Psychosoziale Beratung und Behandlung (PSBB) im Caritasverband für die Diözese Passau.

Was ist Spielsucht?

Die Spielsucht sei vergleichbar mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit, sagt Julius Krieg. "Der Süchtige hat das unwiderstehliche Verlangen, durch Spiel zu Gewinn zu gelangen." Der Gewinn habe dabei eine doppelte Bedeutung: zum einen materiell, zum zweiten gehe es um die psychische Befriedigung. Krieg: "Man spielt so lange, bis sich der Erfolg einstellt." Gewinnt der Süchtige zwischendurch etwas Geld, "dann muss er weiterspielen."

Spieler haben laut Krieg ähnliche Entzugserscheinungen wie Alkoholiker. "Sie beginnen zu schwitzen und verlangen nach dem Suchtmittel." Abhängige wüssten: "Wenn ich dem nachgebe, dann geht es mir wieder gut."

Ist Spielsucht heilbar?

Nein. "Spielsucht ist nicht heilbar, man kann sie nur zum Stillstand bringen", erklärt Experte Krieg. Ein kontrolliertes Spielen sei bei Menschen, die abhängig sind, nicht möglich.
Wer ist gefährdet?

"Sie spielen nicht, weil sie Probleme haben", betont Therapeut Krieg, "aber sie bekommen durch das Spielen Probleme." Süchtige müssten perfekt sein, damit niemand ihre Abhängigkeit bemerke. "Sie müssen eine Fassade haben, die glänzt." Dann komme auch niemand auf die Idee, dass der Betreffende trinkt oder spielt.

Das Suchtpotenzial hat laut Krieg aber auch mit der Verfügbarkeit des Suchtmittels zu tun. 90 Prozent der Abhängigen würden in Spielhallen an Automaten spielen. "Die hängen überall", kritisiert der Therapeut und betont: "Hier läuft echte Sucht ab." Die Abhängigkeit von Glücksspielen würde zudem durch das Internet gefördert. Denn das Spiel boomt im Netz. Krieg: "Man kann alle möglichen Verträge abschließen und man kann auch um Bares spielen."

Wie viele Fälle gibt es?

Die Zahl der Spieler steigt stetig. Es sind mehr Männer als Frauen betroffen, das Alter spielt dabei keine Rolle.

Im vergangenen Jahr hat Julius Krieg über hundert Spielsüchtige beraten. Darin sieht er aber nur die "Spitze des Eisbergs". Der Experte, der seit 20 Jahren Abhängigen Hilfe anbietet, vermutet vielmehr eine hohe Dunkelziffer, auch bei Frauen. "Sie sind schwer am Aufholen."

Wegen dieser rasanten Zunahme − vor zehn Jahren hatte Krieg lediglich fünf Spieler in Therapie − wurde vor drei Jahren eigens eine Planstelle für Glücksspielsüchtige im Diözesancaritasverband geschaffen. Zudem gibt es eine Selbsthilfegruppe. Die steigende Zahl der Fälle begründet Krieg wiederum mit der Verfügbarkeit: "Der Glücksspiel-Markt hat sich gut etabliert."

Welche Dimensionen kann die Spielsucht annehmen?

Julius Kriegs bislang schlimmster Fall: Ein Süchtiger hatte weit über eine Million Euro verspielt und damit alles verloren.

Warum verbergen Spieler ihre Sucht?

"Das Schlimmste für einen Suchtkranken ist, dass er auffliegt", weiß der Fachmann. Selbst vor der eigenen Familie versuche der Abhängige seine Sucht zu verbergen. Das gelinge aber nicht immer. Krieg: "Das nähere Umfeld merkt es, aber es darf keiner wissen." Aus dieser Zwangssituation entstehe eine sogenannte Ko-Abhängigkeit der Angehörigen, die die Sucht ebenfalls verheimlichen − mit der Folge, dass der Kranke weiterhin spielt. Spieler würden auch etwa zu Bekannten und Kollegen den Kontakt abbrechen, wenn diese die Sucht bemerkt haben, so Krieg.

Welche Anzeichen gibt es?

Der Süchtige verändert sich. "Er wird anders sein", sagt Krieg. Vieles spiele sich hierbei auf der Gefühlsebene ab. Zudem verhalte sich der Spieler neu. Er gibt beispielsweise vor, auf einen Termin zu gehen. Doch niemand weiß, wo er eigentlich ist. Krieg weiß aus seiner Erfahrung, dass es lange dauert, bis ein Angehöriger die Sucht erkennt. "Das kann Jahre dauern."

Was können Familie und Freunde tun?

Sie müssen die Sucht zum Thema machen und den Abhängigen darauf ansprechen. Angehörige und Freunde sollten dem Spieler Hilfe anbieten und ihn zu einer Beratungsstelle schicken. "Wenn sie das schaffen, dann haben sie gewonnen", sagt Krieg. Der Therapeut versuche dann, Zugang zum Süchtigen zu finden, damit dieser einsieht, dass er krank ist.

Wie hoch ist die Rückfallquote?

Es gibt bei Spielern keine offiziellen Zahlen, sondern nur Schätzwerte. Julius Krieg geht davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der Abhängigen rückfällig werden.