Zwiesel/Grafenau/Deggendorf/Passau
Vor 10 Jahren: Dauereinsatz in der weißen Hölle +++ Bilder

06.02.2016 | Stand 19.09.2023, 20:51 Uhr

Eindrücke der Katastrophe. Fotos: Eikhorst/Binder/Lukaschik

Vor zehn Jahren versank die Region unter einer nassen, schweren Decke. Die Schneekatastrophe forderte mehrere Tote, zerstörte zahllose Gebäude und trieb Bewohner wie Helfer eine gute Woche lang an den Rand des Leistbaren.

Ein Winter scheinbar wie aus dem Bilderbuch: Schon im November 2005 hieß es "Ski und Rodel gut". Die geschlossene Schneedecke hielt sich über Wochen, wurde sogar immer dicker. Ende Januar maß sie in unserer Region bereits zwischen 50 und 100 Zentimeter. Doch spätestens nach neuerlichen heftigen Schneefällen ab dem 6. Februar 2006 wuchs die Angst, ob wohl alle Dächer den Schneemassen gewachsen sein würden.

Im Landkreis Freyung-Grafenau ist man es gewohnt, mit viel Schnee umzugehen. Deshalb realisierte man hier erst relativ spät, dass eine "Katastrophe" im Wortsinn hereinschneite. Als am 8. Februar Katastrophenalarm ausgelöst wurde, waren die Freyunger Soldaten längst im Bereich Passau am Schneeschaufeln. Bis zum 14. Februar leisteten 3000 örtliche und überörtliche Helfer 135000 Einsatzstunden. Dabei gab es in den "Schneelöchern" zwischen Neureichenau und Finsterau nicht mal eine Handvoll Einsätze – hier stimmt ganz einfach die Statik der Häuser und die Erfahrung ihrer Bewohner. In Klingenbrunn allerdings stürzte ein Rentner (70) beim Dachabschaufeln kopfüber in den Schnee und erstickte.

Wie in Oberlangfurth am Hang des Brotjacklriegels waren auch im Bereich Schöfweg einige Anwohner mehrere Tage von der Außenwelt abgeschnitten. Eine Großschneeschleuder der Frankfurter Flughafenfeuerwehr sollte helfen. Sie rückte mit Sommerreifen und ohne Schneeketten an – und musste unverrichteter Dinge umdrehen. (ZUR FOTOSTRECKE AUS DEM LANDKREIS FREYUNG-GRAFENAU)

Am härtesten trafen die Schneemassen den Landkreis Regen. Am Nachmittag des 10. Februar türmte sich der Schnee in Bachlern bei Wiesing 1,50 Meter hoch auf den Dächern. Gegen 14.20 Uhr brach dort die Stadelgiebelseite des landwirtschaftlichen Betriebs Schmelmer unter der Last zusammen. Am darauffolgenden Wochenende begruben die nassen Schneemassen trotz unermüdlichen Einsatzes der Feuerwehren unzählige Scheunen und Schuppen unter sich. Und wo’s am allergefährlichsten war, musste die Bergwacht ran, so zum Beispiel im Klinikum Hausstein und im Hotel Berghof in St. Englmar. Einen Schwerverletzten (44) gab’s in Böbrach: Er brach beim Freischaufeln der Garage durchs Dachfenster. Am Samstag, 12. Februar, machten sich der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber und sein Innenminister Günther Beckstein selbst ein Bild von der Lage. 2800 Kräfte waren mittlerweile im Einsatz, 610 Einsatzstellen hatten sie abgearbeitet, 320 waren zu diesem Zeitpunkt noch offen.(ZUR FOTOSTRECKE AUS DEM LANDKREIS REGEN)

Ein eingestürztes Dach bei der Caritas, 40 Häuser, bei denen vorsorglich die Dächer abgeschaufelt wurden: Relativ glimpflich verliefen die Tage in der Stadt Passau. Schnell ging hier die Sorge um, ob nach dem Schnee das Hochwasser kommt. So war es nicht – im Gegenteil. Wegen Niedrigwassers schlug sogar ein Frachter auf einem Donau-Felsen leck.

Ganz anders im Landkreis Passau. 2000 Helfer von Feuerwehr, Bundeswehr, THW, Polizei, Rotem Kreuz, Maltesern und etliche Freiwillige hatten in einem Rund-um-die-Uhr-Einsatz an rund 700 einsturzgefährdeten Gebäuden gearbeitet, als am 16. Februar nach neun Tagen der Katastrophenalarm aufgehoben wurde. Der Schnee forderte zwei Tote: Ein Kellberger stürzte durch eine Lichtluke im Dach zwölf Meter in die Tiefe. Und ein 69-Jähriger aus Kohlstatt, gleich hinter der Grenze zu Breitenberg, wurde von einer Dachlawine erdrückt. (ZUR FOTOSTRECKE AUS DEM LANDKREIS PASSAU)

Eine unter drei Metern Schnee eingestürzte Reithalle bei Edenstetten (Gemeinde Bernried), abgeschnittene Ortschaften, enormer materieller Schaden, aber keine ernsthaft Verletzten. So lautete die Bilanz im Landkreis Deggendorf. 50000 Einsatzstunden wurden geleistet, und eine Gesamtfläche von rund 80 Fußballfeldern wurde von unzähligen Tonnen nassen, schweren Schnees befreit. (ZUR FOTOSTRECKE AUS DEM LANDKREIS DEGGENDORF)

Auch im Landkreis Rottal-Inn kristallisierten sich vor allem die Flachdächer von Supermärkten, Schulen und Turnhallen als Schwachpunkte heraus. In Eggenfelden liegt der Schwerpunkt auf den Schulen. Auf Nummer sicher ging man auch in Bad Birnbach, wo die Turnhalle und das Artrium von der Schneelast befreit wurden. In Pfarrkirchen wie in Simbach rückt die Feuerwehr zum Schneeschaufeln auf den Dächern der Supermärkte an. 77 Kilo Schnee pro Quadratmeter waren einfach zu viel.

Zu einer Beinahe-Katastrophe wäre es bereits am 7. Februar in Töging (Landkreis Altötting) gekommen. Dort stürzte am späten Vormittag das Dach eines Supermarkts ein. Dass es nicht zum Schlimmsten kam, ist dem damaligen Azubi Daniel Bürk zu verdanken, der an der Kasse saß und geistesgegenwärtig die Leute zum raschen Verlassen des Marktes aufforderte. Bald schon war von einem schweren Konstruktions- fehler bei dem erst sechs Jahre alten Gebäude die Rede. Im Juli 2008 stellte das Amtsgericht Altötting fest, dass die Schuld der Verantwortlichen schon verjährt war. Zwei der drei Angeklagten mussten die Verfahrenskosten tragen. (ZUR FOTOSTRECKE AUS DEM LANDKREIS ALTÖTTING)

Text: Toni Brandl, Franz Hackl, Carmen A. Laux, Michael Lukaschik, Andreas Nigl, Peter Püschel, Markus Schön, Katrin Schreiber

Fotos: Roland Binder, Toni Brandl, Dirk Eikhorst, Johannes Fuchs, Gerhard Huber, Thomas Jäger, Michael Lukaschik, Andreas Nigl, Claudia Winter

Redaktion: Petra Grond