Passau
Eine Nacht auf Streife mit den Schleierfahndern der Polizei Passau

19.11.2017 | Stand 19.09.2023, 6:06 Uhr

Neben der Autobahn warten die Schleierfahnder in ihren Zivilfahrzeugen, um den fließenden Verkehr zu beobachten. Erst wenn sie einen verdächtigen Wagen verfolgen, geben sie sich per Leuchtschrift als Polizei zu erkennen. − Fotos: Christoph Eberle

Sie sind die Spezialisten bei der Polizei, von denen die hiesige Bevölkerung kaum was mitbekommt: Im Gegensatz zur "normalen" Streife arbeiten die Schleierfahnder der Polizeiinspektion Fahndung (PIF) Passau im Verborgenen. Zum einen ist das so, weil sie in zivil unterwegs sind, zum anderen, weil sich ihre Arbeit auf die grenzüberschreitende Kriminalität konzentriert und Leute aus der Region kaum in ihr Raster fallen. Die "Am Sonntag" fuhr eine Schicht mit.

Es ist neblig und kurz vor der Dämmerung, als Polizeioberkommissar Christian Dersch (47) und Christoph Schuster (43) in ihrem Dienstfahrzeug zur Autobahn aufbrechen. Seit fast zehn Jahren sind sie bei der PIF und fahren fast immer gemeinsam Streife. Die A3 zwischen Aicha vorm Wald und Suben ist dabei ihr Haupteinsatzgebiet − schließlich fährt hier der größte Teil des grenzüberschreitenden Verkehrs. Unterwegs sind sie in einem stark motorisierten BMW X3. Wie sie erklären, haben die Dienstautos mindestens 250 PS, damit sie bei Verfolgungsfahrten auch mithalten können.

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Im Laufe des Abends wird die Motorleistung noch wichtig werden. Bei den ersten Kontrollen eher weniger: Ein in die Jahre gekommener VW-Bus mit polnischem Kennzeichen und getönten Scheiben erregt die Aufmerksamkeit der Beamten. Doch in diesem Fall ist alles in Ordnung − der Fahrer bringt rumänische Erntehelfer an ihren nächsten Arbeitsort. Als nächstes stoppen die Beamten einen Reisebus aus Südosteuropa. "Ich wurde schon an der Grenze kontrolliert", sagt der Fahrer − auch er darf weiterfahren.

Zusammenarbeit mit Bundespolizei an Grenzkontrollstelle

Die Grenzkontrollen auf Höhe Ruhstorf unterscheiden sich von der Arbeit der Schleierfahnder, doch natürlich gibt es Überschneidungen: Die Bundespolizei kontrolliert den Einreiseverkehr, um Schleusungen und illegale Einwanderung aufzudecken. Geht ihnen als "Beifang" ein Fall grenzüberschreitender Kriminalität ins Netz, kommt er zur weiteren Bearbeitung zur PI Fahndung. So wie vor wenigen Stunden ein türkischer Lkw-Fahrer, den Bundespolizisten zur Dienststelle der Schleierfahnder brachten. In seinem Lkw waren zwar keine Flüchtlinge gefunden worden, dafür fünf Gramm Marihuana und fünf gefälschte Luxus-Uhren. Ein Drogenschnelltest verlief positiv.

Doch auch wenn sich Schleierfahndung und die Grenzkontrollen momentan teilweise ergänzen − eingeführt wurde sie in Bayern Ende der 90er, um den Wegfall der Grenzkontrollen auszugleichen. Wie Justizminister Joachim Herrmann gerne betont, ist sie in rund 20 Jahren zum Erfolgsmodell geworden. Aber ist sie auch besser als Kontrolle mit Schlagbaum?

Geschlossene Grenzen wären nicht unbedingt sicherer

Christian Dersch und Christoph Schuster kennen beide Arten von Kontrollen − bis zum Schengen-Beitritt von Tschechien waren sie bei der Grenzpolizei Philippsreut. Und auch ihrer Ansicht nach ist das jetzige Modell effektiver: "Auch an einem festen Grenzübergang erwischt man nicht automatisch alles", sagt Christoph Schuster. Jedes Auto akribisch zu kontrollieren, sei auch dort ein Ding der Unmöglichkeit. "Und wer wirklich etwas größeres zu verbergen hat, der kommt nicht an den Grenzübergang, sondern findet andere Mittel und Wege", ergänzt Christian Dersch.

Freilich ist die Schleierfahndung gewissermaßen Fahnden im Finstern, beziehungsweise Fischen im Trüben, weil man nur stichprobenartig kontrollieren kann. Doch die Erfahrung der Spezialeinheit macht sich oft genug bezahlt bei der spontanen Entscheidung, welche Autos man aus dem fließenden Verkehr zieht. Verdächtig sei es beispielsweise, wenn der Fahrer nicht zum Wagen passt − und etwa ein junger Bursche ein teures Auto steuert. "Alles andere bleibt unser Geschäftsgeheimnis", sagt Christian Dersch und schmunzelt. Kriminelle seien schließlich nicht dumm und wären für solche Hinweise sehr dankbar.

Regelmäßiges Training für Verfolgungsjagden

Später am Abend zeigt sich der Vorsprung durch Technik, den die Bayerische Polizei hat: Die Beamten warten neben der Autobahn, um den Verkehr zu beobachten. Beifahrer Christian Dersch tippt parallel immer wieder Kennzeichen von vorbeifahrenden Autos in den Fahndungscomputer. Plötzlich gibt er seinem Kollegen ein Zeichen: Beim Halter eines BMW M6 Coupé mit Offenbacher Ausfuhr-Kennzeichen hat das Gerät einen Treffer angezeigt. Sofort gibt Christoph Schuster Gas, um den Wagen einzuholen − nun macht sich jedes PS bezahlt.

Um entsprechend fit für Verfolgungsfahrten zu sein, müssen die Fahnder regelmäßig zum Fahrertraining. Um jeden Preis rast man aber nicht immer hinterher − schließlich gibt es auch die Möglichkeit, Unterstützung durch die nächsten Polizeidienststellen anzufordern.

Den BMW haben die Beamten schnell eingeholt. Was sie bei der Kontrolle etwas stutzig macht: Gelenkt wird der über 125.000 Euro teure Wagen von einem 31-jährigen Rumänen. Dieser behauptet, als Paketfahrer in Deutschland zu arbeiten und den Wagen gestern ordnungsgemäß gekauft zu haben. Auch der Wert der Nobel-Markenkleidung, die Christoph Schuster im Kofferraum entdeckt, dürfte das Monatseinkommen eines Kuriers deutlich übersteigen. Christian Dersch fotografiert derweil per Smartphone die Papiere von Fahrer und Beifahrer (30) ab. "Über eine polizeiinterne App können wir seit neuestem die Daten zum Abgleich auf die Dienststelle schicken", erzählt er.

Männer zur verdeckten Fahndung ausgeschrieben

Die Vermutung, dass sie Dreck am Stecken haben, erweist sich als wahr: Beide Männer sind von der rumänischen Polizei zur verdeckten Fahndung ausgeschrieben. "Das bedeutet, dass die Behörden dort nach einer Kontrolle beispielsweise informiert werden wollen, wo, mit wem und in welchem Auto die Person unterwegs war", sagt Schuster. Warum das Duo gesucht wird, wäre nur auf Antrag direkt aus Rumänien zu erfahren. Auf alle Fälle müssen sie die beiden wieder weiterfahren lassen. Ist das nicht ein wenig frustrierend, wenn man ahnt, dass etwas im Argen liegt?"Nein, wir wissen ja, dass die Behörden in ihrem Heimatland informiert werden", sagt Dersch, wahrscheinlich würden bald die Handschellen klicken

Apropos Rumänien: Ein Fernbus nach Bukarest ist in dieser Nacht die letzte Kontrolle des Fahnder-Teams. "In einem Bus ist eigentlich immer was dabei − von Drogen bis zu Fahrgästen nach denen gefahndet wird", erzählt Christoph Schuster. "Man kontrolliert hier ja rund 50 Leute auf einmal. Dafür müsste man sonst viele Autos stoppen", ergänzt Christian Dersch. Doch keine Regel ohne Ausnahme − diesmal leider kein Treffer.

Dafür ziehen Kollegen der beiden Fahnder ein paar Tage später einen umso größeren Fisch aus dem Verkehr: Im Auto eines Italieners (63) entdeckten sie über acht Kilogramm Kokain.
Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der "Am Sonntag" erschienen.