Postmünster
Ein Weggefährte würdigt Jürgen Reipka

02.01.2014 | Stand 02.01.2014, 18:54 Uhr

Jürgen Reipka.  − Foto: Ziegert

Vortrag von Dr. Volker Ziegert vom 20.7.2013 zur Ausstellung:

"REIPKA JÜRGEN: Passauer Monotypien" im Altenheim St. Konrad Pfarrkirchen, 2013

"Jürgen Reipka gehört zu den bedeutenden zeitgenössischen Malern Deutschlands. Er und sein Werk sind bei uns nicht unbekannt, wohnt und arbeitet der Künstler doch schon seit Jahrzehnten in einem alten denkmalgeschützten Bauernhaus in der Nähe von Pfarrkirchen und seit Aufgabe seines Münchner Ateliers ausschließlich dort. Zurzeit wird Herr Reipka hier im Haus nach schwerer Erkrankung gepflegt. Ich wünsche, und wir alle hoffen, dass er bald gesunden werde und dann auch seine noch "ungemalten Bilder" realisieren kann.

Jürgen Reipkas umfangreiches Werk umfasst Tafel-(Öl-)Bilder, Gouachen, Zeichnungen, Monotypien und Druckgraphiken (vor allem Siebdrucke), sowie Malereien auf Keramiken, Glasmalereien und auch architekturbezogene Arbeiten im Öffentlichen Raum: Es wurde in mehr als 300 Ausstellungen in Galerien und Museen im In-und Ausland gezeigt.

Im Rahmen der Ausstellungsreihe: "Das Farbige Licht" waren Reipkas Glasmalereien wiederholt in Pfarrkirchen im Reiffenstuel-Haus zu sehen, für das er auch zwei farbige Fenster schuf.

Im Herbst 2006 fand im Gotischen Kasten in Gern/ Eggenfelden eine viel beachtete, mit über 120 Werken groß angelegte, Retrospektive: "Malerei aus 50 Jahren" statt, die vom Kulturverein Eggenfelden veranstaltet wurde.

Jürgen Reipka wurde 1936 in Hannover geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Bremen. Von 1960 bis 1963 studierte er Malerei an der Kunstschule in Bremen bei Professor Johannes Schreiter, der vor allem für seine Kirchenfenster bekannt wurde. Daher stammt wohl auch Reipkas Liebe zur Glasmalerei. Anschließend bis 1968 studierte er bei Professor Josef Obernberger an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo er dann von 1973 bis 2001 selbst als Professor für Malerei lehrte und von 1976 bis 1979 das Präsidentenamt der Akademie der Bildenden Künste München erfüllte.

Jürgen Reipkas Künstlerkarriere begann eher ungewöhnlich und bemerkenswert paradox:

Als Maler bekannt wurde der Maler Jürgen Reipka als er mit der Schere bunte Papiere ausschnitt und diese Papierausschnitte zu Bildern klebte. Das war in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Vielleicht war es das Buch "JAZZ", eines der schönsten Künstler-Bücher des 20.Jahrhunderts, mit Scherenschnitten von Henri Matisse gestaltet, das den leidenschaftlichen Musikhörer und Musikkenner Jürgen Reipka zu dieser doch sehr langsamen und konzentrierten, trotzdem rationellen Form des Bildermachens inspirierte, die auf den ersten Blick so gar nichts mit Malerei zu tun hatte.

Es entstanden sehr dekorative Klebe-Bilder, natürlich ganz anderer Natur als bei Henri Matisse, - auch sehr musikalische:

Schwingende Linien und Formen, gemischt mit farbkräftigen horizontal wie vertikal gesetzten Akkorden komponierten ebenso farbintensive wie meditative Bilder.

Etwa ein Jahrzehnt später - in den 70er Jahren - wandelten sich die biomorphen bis amorphen Formen in den geklebten und später auch gemalten Bildern allmählich zu strengeren und bald schon zu kantigen und geometrischen Formen: Dreiecke, Quadrate, Rechtecke, wie mit dem Lineal gezogene Linien und scharf begrenzte Linien, die Kuben bilden und Farben, die bewusst Raum gestalten, wurden nun vom Künstler streng geordnet und im gleichen Bild wiederholt eingesetzt.

So entstanden Bilder, auch in Serien, die genau den Idealen der Konkreten Kunst entsprachen.

Mit ihnen gelang Jürgen Reipka endgültig der Durchbruch in die erste Reihe deutscher Maler. Vor allem das Umsetzen seiner Bildideen in Druckgraphiken - vor allem Siebdrucke in Auflagen - machte ihn und sein Werk überregional bekannt und beinahe schon populär!

Dann - in den 80er Jahren - geschah etwas Unerwartetes und Unvorhersehbares!

Die einst scharf gezogenen Linien in seinen Bildern fransten plötzlich aus. Die einst homogenen Farbflächen zeigten wolkige Farbtonabstufungen, die Spur des Pinsels zog sichtbar Bahn in der Farbe: Malerisches wurde erkennbar an Stelle kolorierter Konstruktion.

Dies war aber erst der zaghafte Beginn einer neuen Phase der Malerei, bald aber Ausbruch aus der theoriebelasteten und einengenden Konkreten Kunst und Aufbruch zu einer freien und lustvoll vitalen Malerei, die machtvoll alle bisherigen Grenzen überwinden wollte; freilich nicht chaotisch wild, sondern wohl begrenzt nach selbst verordneten Regeln ganz im Sinne eigener Tradition.

Ein Widerspruch?, - doch scheinbar nur, denn was mit breitem Pinsel in breiten Farbbahnen und bunten Farbtropfen auf den Malgrund, scheinbar ungehemmt und ohne Kontrolle, hingeschrieben wurde, geschah in einer genau kalkulierten Vorgehensweise, ähnlich der beim Komponieren und Aufbau der konkreten, geometrischen Bilder, deren mathematischen Zwang er gerade entfliehen konnte.

Auf den ersten Blick sind diese Bilder spontan und impulsiv gemalt: frei improvisiert scheint der Fluss der Farben und Formen in schwebender Balance auf Papier und Leinwand gebracht! Diese Bilder lassen sich schnell mit dem aus Amerika stammenden Begriff: "Abstrakter Expressionismus" charakterisieren. (In Europa wurde diese Art Malerei "Informel" genannt). Allerdings wird dieser Stil-Begriff den Bildern Jürgen Reipkas nur annähernd gerecht, denn Jürgen Reipkas Expressivität ist – wie wir bemerkt haben - nicht nur spontan, sondern auch kontrolliert und berechnet!

Der Künstler hat diesen Gegensatz zu seinem bildnerischen Prinzip gemacht! Es sind Bilder einer geplanten Improvisation und der Malvorgang eine entsprechende Aktion.

"Ich weiß immer genau was ich machen will, aber nicht genau, wie es ausfallen wird!" Dieser Ausspruch Jürgen Reipkas steht wie ein übergeordneter Titel über allen seinen Bildern, die er bewusst "ohne Titel" bezeichnete.

Parallel zu der Malerei (dazu gehören auch die Monotypien) entstanden Druckgraphiken, Serien von bemalten Keramiken und farbigen Glasscheiben, Lichtbilder und Fenster zugleich, und vereinzelt auch Entwürfe für Wandteppiche.

In seiner neuesten Werkphase sind es die Farben des Regenbogens, die als Farbbänder das Bild dominieren und Halt geben einer wiederum noch freieren Malhandschrift - mit frei schwingenden (schwarzen) Bändern und teils zusätzlich beladen mit aphoristischen Texten. Das weist nun weit in die Zukunft, da diese neuen Gedanken erst als Kleinformate, als farbstiftgezeichnete Skizzen und in Malbüchern existieren.

Die kleine Ausstellung zeigt Monotypien der letzten Jahre und um einen Vergleich zu geben zwei Gouachen, Arbeiten auf gleichem Papier, gemalt mit denselben Farben in gleicher künstlerischer Expression.

In Passau, direkt neben dem Museum der Moderne gibt es eine Werkstatt für künstlerisches Drucken.

Hier druckte Jürgen Reipka persönlich ohne fremde Hilfe seine MONOTYPIEN:

Es ist die exklusivste Art des Druckens, das Ergebnis ein einmaliges Bild, gemalt auf eine Kupferplatte und spiegelverkehrt abgedruckt auf Papier. Ein Unikat, gleichwertig jeder herkömmlichen Malerei und doch kostbarer, da fürs Gelingen nicht allein das Künstlerische ausschlaggebend ist, sondern in hohem Maße technisches Können und unkontrollierbarer Zufall. Eine gelungene Monotypie ist daher ein besonders gelungenes Bild, ein "einzigartiges". Es wird dafür vom Künstler mit dem Trockenstempel: "Passauer Monotypie" geadelt.

Was ist es nun, das die Bilder des Jürgen Reipka so unverwechselbar, so zeitlos aber auch so ansprechend macht, obwohl sie doch so wenig Inhalt und überhaupt nichts Erzählerisches transportieren?

Jürgen Reipkas Bilder sind einfach schön!

"Sie sind von einer direkten und sinnlichen Schönheit in der Frische ihrer Kaprolfarben, die quasi durch die Netzhaut ins Körperinnere des Betrachters dringt, ihn nervlich erregt,...", schwärmte schon 1987 der Galerist und Kunstbuchautor Christian W. Thomsen aus Siegen: "Sie springen den Betrachter in ihrer expressiven Farbigkeit geradezu an…".

Sicherlich, - Schönheit allein ist heute kein Qualitätsmerkmal mehr für gute Bilder. Jürgen Reipkas Bilder machen da sicher eine seltene Ausnahme!

Es ist die Symbiose aus Ratio und Emotion, die diese Bilder so einzigartig erscheinen lässt und es ist die Vielfalt im Gleichen, die die Bilder Jürgen Reipkas zu jeder Zeit wiedererkennbar macht!

Wenn man Jürgen Reipkas expressiv abstrakte, informelle Malerei mit der anderer informeller Maler wie Jackson Pollock, Sam Francis, oder Fred Thieler vergleicht, deren Arbeiten das "Prinzip der Formlosigkeit" verbindet, fällt auf, dass Reipkas "wilde" und gegenstandslose Malerei auf einem exakt gedachten und realisierten Unterbau, dem Balkengerüst, basiert, der sich aus der geometrischen Abstraktion der frühen Bilder wie natürlich ableitet.

Auch dieses künstlerische Prinzip sichert dem Werk Jürgen Reipkas einen eigenständigen Stellenwert in der Kunstgeschichte.

Abschließend möchte ich Wieland Schmied, den bekannten Kunsthistoriker, den ehemaligen Präsidenten der Kunstakademie und (später) der Akademie der Schönen Künste in München, Autor zahlreicher Kunstbücher und Künstlermonographien zitieren:

" Es scheint, als sei Jürgen Reipka hier etwas gelungen, wonach viele so lange und oft vergeblich gesucht haben: dem Informel eine eigene, persönliche Form zu geben…"

Volker Ziegert, Pfarrkirchen, Juni/Juli 2013

Literatur:

Daniel Kramer, Matisse – Kunst auf der ( Scheren-) Spitze; in Artinside,

Das Museumsmagazin der Basler Zeitung…, Basel Juni 2006

Kühne Andreas: Die Variation als Form der Freiheit,

Überlegungen zum Werk von Jürgen Reipka.

In: Jürgen Reipka. Seit 1966 Bilder, Gouachen, Monotypien, freie Glasbilder,

Gobelins, München 2003

Schmied Wieland: Kontrollierte Spontaneität, emotionales Kalkül

In: Reipka. Gaststipendiat 1988. Sommeratelier Mochental.

Ausstellungskatalog der Galerie Schloss Mochental, Mochental 1988

Thomsen Christian W.: Reipka. In: Reipka. Arbeiten von 1980 bis1987.

Ausstellungskatalog Städtische Galerie Haus Seel und Villa Waldrich Siegen