Mainkofen
Facharzt für Suchterkrankungen: Cannabis ist geringstes Problem

18.02.2018 | Stand 19.09.2023, 23:34 Uhr

Dass Alkohol legal, Cannabis aber verboten ist, hält Dr. Thomas Rieder, Facharzt für Suchterkrankungen am Bezirksklinikum Mainkofen, aus wissenschaftlicher Sicht für nicht nachvollziehbar. − Foto: Schweighofer

Wenn man mit Dr. Thomas Rieder, Leitender Medizinaldirektor, durch die Station C8 am Bezirksklinikum Mainkofen geht, dann braucht man die Patienten dort nur kurz zu beobachten, um zu verstehen, was Süchte aller Art den Menschen antun können. Junge Männer liegen am späten Vormittag dösend auf Sofas im Aufenthaltsraum, die Sucht hat sich in ihre Gesichter gefräst, sie wirken um Jahre gealtert. "Grüß Gott", sagt Rieder fröhlich, als er schnellen Schrittes den Raum durchquert. Die gemurmelten Antworten der Patienten sind kaum zu verstehen.

Rieder ist der leitende Arzt der Sektion Abhängigkeitserkrankungen am Klinikum Mainkofen – wenn sich jemand mit Süchten und ihren Folgen auskennt, dann also er. "Ich finde es seltsam, mit welch ideologischer Verbissenheit über Cannabis und THC gerade in Bayern diskutiert wird, ohne sich überhaupt für die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu interessieren", sagt Rieder. "Was viele nicht wissen: Cannabis ist in Deutschland eine jahrhundertealte Kulturpflanze. Erst Kaiser Wilhelm I. hat sie verboten."

Seitdem werde Cannabis von großen Teilen der Bevölkerung und der Politik dämonisiert, während Alkohol als Teil des Brauchtums verharmlost werde. Das hält Rieder aus wissenschaftlicher Sicht für nicht nachvollziehbar: "Wenn Deutschland heute ein drogenfreies Land wäre und die Regierung müsste entscheiden, ob sie Alkohol oder Cannabis legalisiert, dann müsste sie sich für Cannabis entscheiden." Eine ungefährliche Substanz ist Cannabis deshalb freilich noch lange nicht, wie Dr. Thomas Rieder herausstellt – der regelmäßige Konsum kann zu Psychosen führen. Allerdings sind sich Wissenschaftler im Grunde einig, dass Cannabis für Erwachsene ab etwa 20 Jahren bei gelegentlicher Anwendung eine relativ ungefährliche, gleichwohl nicht unproblematische Substanz ist. Und: Marihuana oder Haschisch sind trotz ihrer Illegalität längst Massendrogen. "Wenn Sie sich etwas zum Kiffen besorgen wollen, dann können Sie das ohne große Probleme tun", sagt Rieder.

"Wir haben im Suchtbereich viele Probleme", sagt Dr. Thomas Rieder zum Schluss zusammenfassend. "Cannabis ist das Geringste davon." Jedes Jahr gebe es zehntausende Alkohol- und Nikotintote allein in Deutschland zu beklagen. "Und die Zahl der Cannabistoten? Die liegt bei Null."

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