Plattling
Myteriöser Tod eines Neugeborenen: Erntehelferin vor Gericht

23.03.2017 | Stand 18.09.2023, 1:49 Uhr

Bis in die Mittagszeit hinein zogen sich am Mittwoch die Zeugenbefragungen vor dem Landgericht. − Foto: Andreas Gebert/dpa

"Es geht hier um sehr viel", belehrte Richter Horst Müller am Mittwochvormittag eine 21-jährige Polin, die im Wiederaufnahmeverfahren um den mysteriösen Tod eines Neugeborenen einer heute 25-jährigen polnischen Erntehelferin erneut als Zeugin vor Gericht stand. Die ehemalige Arbeitskollegin konnte (oder wollte) nicht nachvollziehen, dass sie im Februar vergangenen Jahres schon mal vor dem Landgericht Deggendorf als Zeugin ausgesagt und "ich nichts Neues hinzuzufügen habe." Also hielt sich Richter Müller an die Aussagen der polizeilichen Vernehmung. Die meisten Nachfragen übersetzte der Dolmetscher mit "ich weiß es nicht." Die Zeugenbefragungen zogen sich am Mittwoch bis in die Mittagszeit hinein.

Wie berichtet, wurde im Februar vergangenen Jahres eine damals 24-jährige Erntehelferin aus Polen von der ersten Strafkammer des Schwurgerichts am Landgericht Deggendorf wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Gegen das Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Deggendorf, die weiterhin von einem vorsätzlichen Tötungsdelikt ausgeht, Revision eingelegt. Oberstaatsanwalt Peter Wiesenberger hatte auf "Totschlag durch Unterlassung" plädiert und eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren gefordert. Der Vorwurf: Die Mutter zweier Mädchen hatte im Juli 2015 auf der Toilette ihrer Gemeinschaftsunterkunft im Plattlinger Industriegebiet einen gesunden Buben zur Welt gebracht. Die junge Frau soll sich aber erst so spät um das Neugeborene in der Kloschüssel gekümmert haben, dass dieses bereits tot gewesen sein soll, als die Mutter es in Armen hielt.

Nach dem Richterspruch vom Februar 2016 wurde die Erntehelferin aus ihrer siebenmonatigen Untersuchungshaft in der JVA Regensburg entlassen und durfte in ihre Heimat zurückkehren. Der Bundesgerichtshof war mit dem Urteil aus Deggendorf nicht einverstanden, hob die Entscheidung auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung ans Landgericht Deggendorf zurück. Zuständig für das Wiederaufnahmeverfahren ist seit dem vergangenen Mittwoch die zweite Strafkammer am Landgericht Deggendorf. Am ersten Verhandlungstag ließ Sachverständiger, Rechtsmediziner Dr. Oliver Peschel, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, erneut keinen Zweifel am Obduktionsergebnis, wonach der Neugeborene gelebt haben muss. Demzufolge steht zweifelsfrei fest, dass der Bub nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Allerdings hätten sich auch keinerlei Spuren und Hinweise gefunden, dass der Säugling durch "aktives Handeln der Mutter oder einer anderen Person zu Tode kam." Das Kind könne aber auch aufgrund seiner Lage im Tiefspüler-WC, erstickt sein, führte der Sachverständige am ersten Verhandlungstag aus.

− rb

Mehr dazu lesen Sie in der Donnerstagsausgabe Ihrer Plattlinger Zeitung (Online-Kiosk) oder hier als registrierter Abonnent.